„Es geht ein Klang von Kälte durch die Welt“
von Tanja Krienen (2005)
Georg Kreislers Biographie ist erschienen und stellt ein Leben vor, das von Anekdoten, politischen Einsichten und einem originären Kunstverständnis durchzogen ist.
Irrtümlich schreibt die Masse der Grundstimmung eines Pessimisten ausschließlich finstere und tiefschwarze Seiten zu, irrtümlich, weil der Pessimist in Wirklichkeit ob des Zustandes der Welt, viel länger und klarer bescheid weiß als der naive Optimist, und dadurch längst zu einer anderen Sichtweise auf die ewigen gleichen Läufe der Welt fand. Diese beschreibt er zwar „schwarz“ und mit Melancholie, doch zu dieser gesellt sich nicht selten ein (manchmal vertrackter) Ausgang ins Heitere, als kathartischer Effekt, um nicht gänzlich zu verzweifeln. Während der plötzlich mit einem Problem konfrontierte Optimist mit sich und seinem Schicksal hadert, dabei in einen Zustand tiefster Niedergeschlagenheit, ja geradezu in eine dauerhafte Starre, einen psychisch verkrampften Zustand, fallen kann, erwartet der Pessimist niemals etwas anderes vom Leben, als dass es eine Zeit des Leidens ist, nur kurz unterbrochen durch jene Momente, die wir selbst meist nur rückblickend als „Glück“ bezeichnen.
Doch im Gegensatz zum dauerhaft enttäuschten Optimisten, der, weil die Welt nicht „gut“ ist, will, dass sie zerfällt und unmenschliche Bedingungen in ihr herrschen, aber so zum destruktiven, inhumanen Zyniker wird, versucht der Melancholiker jene Wahrheiten und Ideale vom letzten Grund zu bewahren und wird maximal, das aber gar mit Befriedigung, ihre Abwesenheit und Nichteerfüllung beklagen. Der melancholische Pessimist ist der, der sich nach dem Hellen sehnt, weil ihn obligatorisch Dunkelheit umgibt. Nicht umsonst beschreibt ja der Pessimist stets das, was ihn bedrückt, mit negativen Bildern (Regen, Dunkelheit, Einsamkeit), weil er sich nach der Sonne, dem Licht und der Menschlichkeit sehnt. Der immer fröhliche Optimist bleibt an der Oberfläche, doch deshalb, wie Psychologen und Soziologen längst herausfanden, ist er es, der viel schneller in sein Unglück rennt und emotionell abstürzt, weil sein Prinzip „es wird schon gut gehen, es ist noch immer gut gegangen“, in der Realität so schrecklich selten funktioniert. Der Pessimist ist der Realist des Lebens, der Optimist der oberflächliche Verdränger.
Heimat suchend
„Die Optimisten endeten in Auschwitz, die Pessimisten in Beverly Hills“, heißt es bezeichnender Weise im Buch. Georg Kreisler verließ zwei Wochen bevor im „Reich“ die Synagogen brannten, als 16jähriger mit seinen Eltern Österreich, um Ende 1938 in Hollywood zu landen. Das relative Glück des Pessimisten, der erkannte, wie sehr sein Leben nach dem „Anschluss“ Österreichs gefährdet war, und der nur in der Flucht eine Chance sah, der Verfolgung zu entgehen – im Gegensatz zu anderen Familienmitgliedern. „Glück ist Hilfe“ schrieb Brecht einmal. In der Tat war es das Glück Georg Kreislers, dass sein Cousin Walter Reisch die Übersiedlung nach Amerika in die Wege leitete, und dem Neuankömmling und seinen Eltern in Los Angeles nach besten Kräften half. Walter Reisch (Biographie: Walter Reisch, Film schreiben; Vorwort: Georg Kreisler, Verlag Filmarchiv Austria) war nicht irgendwer, sondern ein sehr erfolgreicher Drehbuchschreiber, der sich schon in Deutschland, z.B. mit dem Drehbuch für den Hans Albers-Film „FP1 antwortet nicht“, einen Namen machte. In den USA schrieb er an “Ninotschka” mit Greta Garbo, und war auch für die Dramaturgie von „Niagara“ (Hauptrolle Marylin Monroe) zuständig. 1940 und 1944 wurde er für den Oscar nominiert, diesmal für die Drehbücher zu King Vidors Film „Comrade X“ und des George Cukor Werkes „Gaslight“ (mit Ingrid Bergman und Joseph Cotten). Den Oscar gewann er schließlich für „Titanic“ im Jahre 1953, Barbara Stanwyck und Robert Wagner spielten darin die wichtigsten Rollen.
Man mag ein bisschen bedauern, dass Kreisler die Biographie nicht selbst schrieb, doch liegen den Aufzeichnungen der beiden Journalisten Michael Seufert (langjähriger STERN-Redakteur) und Hans-Jürgen Fink (derzeit Kultur-Chef beim „Hamburger Abendblatt) lange und intensive Gespräche mit ihm zugrunde. Darüber hinaus ist beiden Autoren die verdienstvolle Wiederentdeckung von sechs quasi verschollenen Kreisler-Aufnahmen aus dem Jahre 1947 zu verdanken, die sie in einem amerikanischen Archiv aufgestöberten. Es waren Kreislers erste Schallplattenaufnahmen, die er 25jährig in New York einspielte. Doch sie gingen nicht in die Massenproduktion, weil die Schallplattenfirma letztlich den schwarzen Humor darin als nicht kompatibel mit der herrschenden Moral einstufte. So schlummerten die Rohaufnahmen fast 60 Jahre vor sich hin. Diese sechs Songs wurden jetzt jedoch in CD-Form frisch gepresst und dem Buch beigelegt!
Die Biographie ist ein äußerst lebendiges Werk und man wundert sich eigentlich am Schluss, die 83 bisherigen Lebensjahre Kreislers auf „nur“ 300 Seiten (und mit ca. 30 Abbildungen) erzählt wieder zu finden, denn angesichts der Fülle von unzähligen Anekdoten, Fakten und Namen, hat man den Eindruck, das Kaleidoskop einer ganzen kulturgeschichtlichen Epoche durchlebt zu haben.
Nehmen wir nur die Erzählung um Kreislers Onkel Julius Hochberg, welche angesichts der Familiengeschichte geradezu tragikkomische Elemente besitzt und im Prinzip Stoff für eine Novelle oder einen Handlungsstrang in einem Film abgibt. Julius Hochberg also besaß in Wien eine Drogerie und erfand eines Tages ein Puder gegen Schweißfüße, welches er „Teddy“ nannte. Arbeitslose Graphiker entwarfen dazu kurze Werbesprüche wie „Wer Teddy benützt, niemals schwitzt“ und entwarfen kleine Geschichten dazu, die sie mit Bildern illustrierten. Auch ein Maler aus Braunau am Inn arbeitete für Julius Hochberg, der diese Bilder auch gerne herum zeigte, als derselbe „Künstler“ ein paar Jahre später deutscher Reichskanzler wurde. Hitler wurmte die Auftragsarbeit für den jüdischen Geschäftsmann jedoch so unvorstellbar, dass er noch am Tage nach dem deutschen Einmarsch in Wien Gestapoleute zur Drogerie schickte, um nach seinen alten Entwürfen suchen zu lassen.
Die Kreislers verlassen also nach dem „Anschluss“ Wien, ihnen bleiben nur ein paar Habseligkeiten. Der 16jährige Georg lernt auf der Überfahrt einen Mann kennen, der von der Besatzung als Schiffbrüchiger vor Costa Rica aufgenommen wurde, da er mit seiner Yacht kenterte. Der Mann erzählt jüdische Witze, fragt den Jungen nach seinen Plänen und spielt mit ihm etliche Schachpartien. Es ist kein Geringerer als der Kumpane von Meyer Lansky und Lucky Luciano – der Gangster „Bugsy“ Siegel (eigentlich Benjamin Siegelbaum). Als das Schiff anlegte, wusste die Polizei längst bescheid und verhafte den Ganoven. Unter kuriosen Umständen kamen sich Georg Kreisler und Siegel noch einmal nahe, aber da bemerkte letzterer nichts mehr davon: Kreisler spielte am 20. Juli 1947 gerade in einem Nachtlokal in Beverly Hills Klavier, als „Bugsy“ Siegel im Haus gegenüber erschossen wurde.
Ein Ritchie-Boy
Schon 1941, da ist er 19 Jahre alt, heiratete Georg Kreisler zum ersten Male, und zwar die gerade 16jährige Tochter des legendären Chansonschreibers Friedrich Holländers (Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt). Im Hause Holländers gehen die Emigranten ein und aus. Kreisler traf dort auf Billy Wilder, Marlene Dietrich, Lilian Harvey, Rudolf Forster u.v.a. Inzwischen perfektionierte er sein Klavierspiel und trug mit ersten Engagements zum Lebensunterhalt der ganzen Familie bei. Obwohl Kreisler noch offiziell die deutsche Staatsbürgerschaft besaß, zog man ihn am 4. Januar 1943 – da war er gerade erst vier Jahre im Land – zum Krieg ein. Das hieß konkret: Sonderschulung im „Military Intelligence Training Center“ Camp Ritchie! Er wurde einer Spezialeinheit zugeteilt, die deutsche Kriegsgefangene verhören soll. Im Camp bildete man viele Exilanten aus; Henry Kissinger z.B., der auf Kreisler einen „verschlagenen Eindruck“ machte - auch Hans Habe und Stefan Heym trifft er dort. Ernest Hemingway, der das Lager mit einigen Generälen besuchte, tauchte kurz auf. Die Zeit verkürzte man sich im Lager auch mit Musik – Kreisler schrieb Lieder und organisierte eine Show, deren Star Akim Tamiroff im Jahr zuvor im Hemingway-Klassiker „Wem die Stunde schlägt“, an der Seite von Ingrid Bergmann und Cary Cooper drehte.
Bis zum Frühjahr 1944 blieb die Truppe in Wartestellung, dann erst ging es nach Europa – der D-Day stand an! Kreisler konnte zunächst mit Musicals und Revuen weiter machen. Dabei lief ihm einmal wieder Marlene Dietrich über den Weg. Doch nun wurde es ernst. Die Amerikaner landeten in der Normandie, rückten in Deutschland ein und fingen dabei auch einige hochrangige Nazis. Kreisler fiel dabei die Aufgabe zu, Julius Streicher, den Chef der antisemitischen Hetzschrift „Der Stürmer“, zu verhören. Streicher bedankte sich am Ende bei ihm: „Sie waren ja nett zu mir. Aber die Juden haben mir sehr zugesetzt.“ Kreisler darauf: „Na, vielleicht haben Sie angefangen.“ Wenige Zeit später lernte Kreisler Hermann Göring („Ja, was glauben Sie! Ich habe nichts damit zu tun gehabt. KZ? Das war gar nicht mein Bereich“) und Ernst Kaltenbrunner kennen. Daneben unterhielt Georg Kreisler weiterhin die Truppe mit Musik. Nach einem Auftritt sprach ihm Eisenhower, der spätere US-Präsident, ein Lob aus (was Kreisler skeptisch zur Kenntnis nahm). Er war sehr froh, als er Ende 1945, nach fast drei Jahren in der Armee (drei Auszeichnungen), entlassen wurde.
Die Karriere
Gottlob konnte ihm Cousin Walter Reisch gleich zu einem Job verhelfen, denn der schrieb das Drehbuch zu „Song of Scheherazade“ und da wurde unbedingt einer benötigt, der dem Schauspieler Jean-Pierre Aumont beizubringen hatte, damit es im Film so aussieht, als könne er Klavier spielen. Yvonne de Carlo spielte die Hauptrolle in dem Streifen. Anschließend arbeitete Georg Kreisler an Charlie Chaplins „Monsieur Verdoux“ mit. Seine Aufgabe bestand darin, Chaplins ehrgeiziges Unterfangen, die Musik zu dem Film zu schreiben, obwohl er selbst handwerklich nichts davon verstand, zu arrangieren. So pfiff Chaplin die Musik vor, Kreisler notierte die Noten und fuhr anschließend nach Malibu zu dem ebenfalls im Exil lebenden Komponisten Hanns Eisler, welcher besonders oft mit Bertolt Brecht zusammenarbeitete, damit der wiederum die Noten in Orchester-Arrangements umsetzen konnte.
Doch Georg Kreisler hatte mittlerweile genug von Hollywood. Das pulsierende New York lockte, wo es zudem mehr gab als nur den Film. Hier schlug er sich zunächst leidlich durch, ehe er ein festes Engagement als Barpianist erhielt, eine Tätigkeit, die zwischen dem amerikanisch geprägten Entertainer und dem Klavierhumoristen deutschsprachiger Tradition angesiedelt ist. Doch so recht kommt Kreisler nicht voran, er stagniert, spürt jedoch, dass er mehr kann und neue Aufgaben angehen sollte. So kehrte er 1955 in seine Geburtsstadt Wien zurück und wurde Teil des legendären Wiener Kabaretts, das von Kreisler jedoch insgesamt nicht sehr positiv beurteilt wird. Jedenfalls spielte er rund vier Jahre an der Seite von Helmut Qualtinger (der 1986 nach den Dreharbeiten zu „Der Name der Rose“ starb), Gerhard Bronner, Peter Wehle u.a.
Daneben aber bastelte Kreisler an seiner Solo-Karriere. Hatte er sich zu Beginn mit schwarz-humoristischen Lieder buchstäblich einen Namen gemacht – sein „Taubenvergiften im Park“ bescherte ihm den gar zu populistischen Beinamen „Der Taubenvergifter“ – so wurden seine Lieder nun immer artifizieller, surrealer, poetischer im besten Sinne und letztlich auch politischer. Nach seiner Trennung von den Wiener Kollegen erfolgte 1961 der künstlerische und im Zuge dessen auch der finanzielle Durchbruch. Kreisler wurde nun selbst zur Kabarett-Legende, erhielt eigene Fernsehsendungen und war überall präsent. 140 Schallplatten und CDs zeugen von der Vielfalt seiner Lieder. Seine „Seltsamen Liebeslieder“, die „Lieder zum Fürchten“ oder auch die „Nichtarischen Arien“ wurden Klassiker, die mindestens auf der Stufe des höchsten Kabarettschaffens der 20er und 30er Jahre angesiedelt sind.
Diese Seite ist die bekannte Kreislers, doch sein eigentliches Faible gilt der „großen Musik“. Er überarbeitet einige Operetten, schreibt musikalische Komödien und Musicals, und zuletzt, im Jahre 2000, sogar eine Oper (Der Aufstand der Schmetterlinge). Nicht vergessen darf man den politisch-literarischen Schriftsteller Georg Kreisler, der mehrere Bücher mit Satiren und Polemiken veröffentlichte und als Autor für die „Konkret“ und „Campo de Criptana“ in Erscheinung trat.
Das Gefühl der Heimatlosigkeit, die Melancholie, aber auch die Wut über unzulängliche Zustände in der Welt, ziehen sich durch sein Schaffen – egal ob mit oder ohne Töne. Das Gefühl für die Sprache und eine große Musikalität, bildeten seit je her jene Kreislersche Einheit, die ihn aus der Masse jeglicher Liedermacher und Kabarettisten heraus hebt.
Heute lebt Georg Kreisler mit seiner vierten Frau, der Schauspielerin Barbara Peters, in der Schweiz. Seit drei Jahren verzichtet er auf eigene Kabarett-Abende, ist jedoch manchmal mit Lese-Abenden unterwegs. Momentan liest er auf einer Tournee aus eben jener Biographie, so in nächster Zeit am 8.11. in Berlin (Akademie der Künste) und am 20.11. in Wien während der Österreichischen Buchwoche.
Georg Kreisler gibt es gar nicht, Scherz-Verlag, ISBN 3-502-15021-4, inklusive der CD 24,90 Euro.