Thomas Rotschild: Georg Kreisler

Auszug aus Liedermacher: 23 Porträts, Frankfurt am Main März 1980 (Fischer Taschenbuch Verlag GmbH), S. 107-115

Es mag verwundern, daß in einem Buch mit Liedermacher-Porträts Georg Kreisler vorkommt. Beim Begriff Liedermacher denkt man bei uns wohl an Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrup, an Wolf Biermann, an Hanns Dieter Hüsch, an Hannes Wader, Reinhard Mey, vielleicht an den Floh de Cologne. Aber Georg Kreisler? Kennzeichnet man Liedermacher als Leute, die ihre Texte selbst schreiben, die Melodien selbst komponieren und ihre Lieder selbst vortragen und begleiten, so gehört Georg Kreisler dazu. Ein Teil der anerkannten Liedermacher hat mit seinen Werken einen sozialkritischen Anspruch: das trifft auch auf Kreisler zu.

Einige arbeiten mit Witz und Humor: kein Zweifel, da gehört Kreisler hin. Aber man ist doch gewohnt, Kreisler dem Kabarett zuzurechnen. Nun ja, die Lieder der Liedermacher lassen sich nicht so ohne weiteres von anderen Genres abgrenzen. Gewiß gibt es bei Kreisler eine große Affinität zum Kabarett. Aber das gilt auch für andere, die unbezweifelt als Liedermacher firmieren, etwa für Hüsch, für Dietrich Kittner, für den Floh de Cologne.

Fragte man die prominenten Liedermacher nach den Einflüssen, die sie am meisten prägten, so nennten sie wohl das französische Chanson, besonders Georges Brassens, den amerikanischen Protestsong, vielleicht das traditionelle deutsche Arbeiterlied, auch Brecht, möglicherweise Wedekind, Ringelnatz, Klabund. Und sie sind sich wohl kaum bewußt, daß sie auch von Georg Kreisler geprägt sind, jenem Mann, der wie kein anderer die Tradition des literarischen Kabaretts, des Coupiets, auch der »ernsten Nummer« in die Nachkriegszeit hinüberrettete, die eben auf Wedekind, ja sogar auf Nestroy zurückgeht und im speziellen Falle Kreislers noch stark gefärbt ist durch das Wiener jüdische Kabarett der ersten Republik.

Wenn die heutigen Liedermacher schwanken zwischen Kleinkunst und Agitprop, so ist Kreisler ohne Zweifel noch ein Vertreter der heute fast ausgestorbenen Kleinkunst, des Brettis. Wie die Agitation hat auch die kleine kabarettistische (oder sollte man richtiger schreiben: cabaretistische?) Form ein kritisches Anliegen. Aber sie verpackt es gefällig, bedient sich des Witzes oder der Melancholie, hat einen ästhetischen Anspruch, der den politischen oft überdeckt, will eher unterhalten und dabei nachdenklich machen, als zum Handeln auffordern.

Die Jahre der Studentenrevolte waren für Deutschland auch die Jahre der harten, direkten Agitation, der Unterordnung der künstlerischen Mittel unter das unmittelbare oder entferntere politische Ziel. Das Kabarett verkümmerte, und auch für Chansons eines Kreisler gab es wenig Ohren. Dabei hat sich Kreisler in diesen Jahren verändert. Mehr und mehr entfernte er sich von Liedern, die - oft entgegen seiner Absicht - nur belustigten, und näherte sich einer deutlichen, konkreten Sprache, die freilich auch zunehmend bitterer und resignierter wurde. Wer ist dieser Georg Kreisler? 1922 als Sohn eines Rechtsanwalts in Wien geboren, mußte er 1938 nach Amerika emigrieren. In Hollywood arbeitete er als Musiker beim Film, Kenntnisse im Dirigieren, Komponieren und Orchestrieren erwarb er sich an der University of South California. 1942 bis 1945 diente er als Soldat in der US-Army, ab 1944 in Europa, wo er eigentlich als Dolmetscher Gefangene verhören sollte, sich aber mehr mit Shows befaßte. 1945 und 1946 arbeitete er wieder in Hollywood, unter anderem mit Chaplin an Monsieur Verdoux. 1946 bis 1955 war er Chansonnier in New Yorker Nachtlokalen, schrieb Lieder für Rundfunk und Fernsehen, machte erste Tourneen durch die Vereinigten Staaten. 1955 kehrte er nach Wien zurück und trat dort vor allem in der Marietta-Bar auf.

Einem größeren Publikum bekannt wurde er durch seine Kabarett-Programme zusammen mit Helmut Qualtinger, Gerhard Bronner und anderen. 1958 übersiedelte er mit seiner Frau Topsy Küppers nach München, wo er mehrfach für Funk und Fernsehen arbeitete. Dann pendelt er lange zwischen Wien und der Bundesrepublik, mit der Haltung jenes Juden, der aus der Sowjetunion nach Israel auswandert, von dort wieder nach Rußland zurückkehrt, mehrmals hin- und herfährt und auf die Frage, wo es ihm denn nun am besten gefalle, antwortet: »Sie werden lachen: auf dem Schiff,« Zur Zeit lebt er in West-Berlin.

Populär wurde Georg Kreisler mit seinen schwarzen Liedern. Der makabre Humor, in Amerika mehr zuhause als in Europa, bereitete oberflächlich Vergnügen, man lachte über skurrile Einfälle und unerwartete Vorstellungs- und Wort-Kombinationen. Dabei wurde vielfach übersehen, wie böse Kreislers Lieder eigentlich waren, wie da eine mörderische Mentalität von Leuten, die auch noch auf dem Heldenplatz Hitler mit Wiener Charme zujubelten, aufs Korn genommen wurde, wenn zum frischfröhlichen Rhythmus des Wiener Walzers die Lust am Taubenvergiften besungen wurde. Oder wie die Anarchie der tangotanzenden Tanten oder die abstruse Sinnlosigkeit des Bluntschli sich gegen eine wohlige Geordnetheit der bürgerlichen Welt richtet. Kreisler sagt:

Ich begreife mich natürlich als politischer Liedermacher, eigentlich fast mehr als Schriftsteller als Liedermacher - ich mag das Wort eh nicht sehr. Von den Produzenten, Veranstaltern und Kritikern bin ich auch immer politisch begriffen worden, wurde immer sehr vorsichtig und dosiert eingesetzt - das geht auf die 40er Jahre zurück - bis heute. Mit dem Publikum habe ich nie Schwierigkeiten gehabt. Heute erlebe ich es oft, daß jemand nur meine alten Lieder kennt und mich harmloser einstuft, als ich bin. Politisch einzuordnen dürfte ich schwer sein, ich neige wahrscheinlich am ehesten zum Anarchismus, Trotzkismus, Partei gehöre ich keiner an, bin noch immer amerikanischer Staatsbürger, Heimat habe ich keine, erstens weil ich mich als Jude begreife, zweitens als Arbeiter (Marx: >Der Arbeiter hat kein Vaterland< oder so ähnlich), drittens weil ich gefühlsmäßig zwischen Wien und Amerika schwanke, und da gibt es zu viele Zwischenstationen.

Was sich Kreisler von seinen ersten bis zu seinen bislang letzten Liedern bewahrt hat, das ist sein immenses Gefühl für Sprache. Er macht Etymologien bewußt, bringt ähnlich lautende Wörter in neue Zusammenhänge, vereinnahmt Jargon und Mundart, dreht Wörter und Idiome und spielt mit ihnen. Wahrscheinlich ist es die lange Emigration, die ihn befähigt, die Wörter seiner Muttersprache zu sehen, als wären sie fremd. Und er versetzt seinen Zuhörer in die Lage, ebenfalls vertraute Wörter neu zu sehen, wie es Duchamp einst mit einem Urinoir tat. In der deutschen Literatur, die stets dem Tiefsinn näher war als dem Vergnügen, ist die Lust am Sprachspiel unterentwickelt. Man findet sie bei den Dadaisten - ohne Zweifel sind sie eine Inspirationsquelle für Kreisler - und heute wieder bei einzelnen Autoren wie H. C. Artmann, Ludwig Harig, Ror Wolf oder Ernst Jandl. Die englischsprachige Literatur von Edward Lear bis John Lennon hat ein ungebrocheneres Verhältnis zum Spaß am sprachlichen Witz. Wer Kreisler interpretiert, wird sich mit dieser Tradition beschäftigen müssen. Manchmal klingt bei Kreisler eine Sprache an, die ganz entscheidend zum Wiener Brettl der Zwischenkriegszeit gehörte: das Jiddeln. Es war die Sprache der Leopoldstadt, des zweiten Wiener Gemeindebezirks, nicht mehr ganz das Jiddisch der erst vor kurzem zugezogenen Ostjuden und noch nicht ganz Wienerisch. Das Jiddeln ist in Wien ausgestorben - worden. Man hört es heute allenfalls noch von älteren Juden in Amerika oder Israel. Wenn Kreisler es benützt, so fehlt ihm der soziale Hintergrund, die Bedeutung dieses exotischen Dialektes ist einem jungen Publikum unverständlich.

Die Gefahr, am Publikum von heute vorbeizusingen oder mißverstanden zu werden, stellt sich auch bei Kreislers Versuchen, mit Elementen der jüdischen Folklore neue Chansons zu schaffen, seine »nichtarischen« Arien. Die sozialen Strukturen, die Mentalität und der Humor, die in diesen Liedern besungen werden, sind jungen Leuten heute unbekannt. Mit einer geradezu starrköpfigen Besessenheit scheint Kreisler jedoch entschlossen, da eine Kulturtradition aufrechtzuerhalten und weiterzuführen, der die Verankerung in der (europäischen) Gesellschaft unter Hitler weitgehend abhanden kam.

Mehr als bei anderen hat der Wien-Haß, der in vielen seiner Lieder zum Ausdruck kommt, bei Kreisler eine reale Grundlage. Er trifft den sogenannten Charme jener Hauptstädter, die eben erst als Nazis Fleißaufgaben gemacht hatten und die sich nun, wie der Heimgekehrte feststellen mußte als 0pfer des Faschismus sehen obwohl an allen Ecken und Enden nach wie vor rassistische und deutsch-nationale Vorstellungen hervorlugen.

Den Typ des heuchlerischen, ewig opportunistischen Österreichers (wie ihn später auch Oualtinger in seinem Herrn Karl verkörperte) stellte Kreisler in seinem Lied vom guaten, alten Franz dar. (Aus umgekehrter Sicht hat er das Thema in der Moritat Herberts blaue Augen variiert.)

In manchen frühen Liedern zeigt sich eine gewisse Ambivalenz. Macht sich etwa Mein Sekretär über Homosexuelle lustig, oder gestattete dieses Lied zu einem Zeitpunkt, da das Thema tabuisiert war, unbefangener darüber zu reden? Vielleicht ist es kein Zufall, daß Kreisler dieses Lied - meines Wissens - später nicht mehr aufgenommen hat. (Es ist übrigens interessant zu beobachten, wie er etwas hilflos gegen die Versteinerung seiner Lieder ansingt, indem er sie in Konzerten und späteren Plattenaufnahmen leicht abändert.)

Ein ganz wesentliches Element von Kreislers Songs ist der musikalische Humor. Auch der hat bei uns wenig Tradition. Wir hatten ebensowenig einen Satie wie einen Spike Jones oder einen Gerard Hoffnung. Auch die Musik ist in deutschen Landen eine todernste Angelegenheit. Kreisler, von Haus aus ja Komponist und ein hervorragender Pianist, zitiert bekannte Musikstücke herbei, deformiert sie, mischt sie, unterlegt sie einem wesensfremden Text, interpretiert sie durch neue Kontexte um. Er kontrapunktiert seine Texte mit musikalischen Kommentaren und Stimmungen oder schiebt sogar - wie im Lied Das Triangel - einen Ton an die Stelle eines Wortes.

Als bei einem Konzert alte Plätze ausverkauft waren, ließ Kreisler noch ein paar Einlaß Heischende auf die Bühne setzen, und da die Feuerpolizei dort nur Mitwirkende duldet, stellte er sie als seinen Chor vor und sang mit ihnen Hänschen klein. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen. Der Mann versteht sein Show-Business. Er ist ein Mann zwischen den Stühlen. Im Grunde ist er ein Kabarettist der »alten Schule«, nähert sich - etwa in dem Lied Warum? - der ernsten Einlage des traditionellen literarischen Kabaretts, und verzweifelt doch an einer politischen Wirklichkeit, der man mit kabarettistischen Mitteln nicht beikommen kann. Es bedarf nicht des Hinweises auf manche Vorspiele und Triller in Kreislers Vertonungen, um auf das nur selten ungebrochen zum Vorschein kommende lyrische Temperament Kreislers aufmerksam zu machen. Bisweilen erinnert er an Jacques Pr6vert, etwa wenn es heißt:

Einen Könner, der nichts kann,
einen blinden Steuermann,
zwei Gedanken, die nichts denken und nichts wollen,
eine Schreibmaschine,
die nur eine Taste hat: ein »Ü«
und den Lärm, den eine Träne macht beim Rollen.

Das Lied Dreh das Fernsehn ab, Mutter, es zieht wirkt wie die surrealistische Variante einer der schönsten Dichtungen Wolf Biermanns, des Barlach-Lieds. Kreisler ist im Grunde zutiefst pessimistisch, ein enttäuschter Romantiker. Man hat ihm häufig Zynismus vorgeworfen. Dazu sagt er: »Wenn man sich über etwas lustig macht, womit ein anderer viel Geld verdient, dann ist das zynisch.« Nach den Liedern zum Fürchten und den »nichtarischen« Arien, nach einer Reihe von Aufnahmen mit Topsy Küppers und Liedern, die er für sie schrieb (dazu das Ein-Personen-Musical Heute Abend Lola Blau), nach einem Ausflug zu Morgensterns Galgenliedern in der Vertonung von Friedrich Gulda, die er mit Blanche Aubry interpretierte, häufen sich in letzter Zeit die nachdenklichen, politischen Lieder. (Kreisler: »Es gibt ja Leute, die betrachten nur politische Lieder als politisch.«) Ob diese Lieder nützen - Kreistet weiß es nicht. Und so singt er Lieder darüber, ob Lieder etwas nützen: »Erwartet nicht zu viel von meinen Liedern«, heißt es da, oder »Andere singen ebenso, sicherlich, / aber zu leise für mich«, oder »Ich soll immer was Lustiges schreiben«, oder »Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen, / statt die Verantwortlichen niederzumachen«. Das ist ein trauriger Ton, nachdem er noch vor ein paar Jahren einen Alptraum besang, in dem ihm zum musikalischen Muster seiner Gruselsongs Franz Josef Strauß erschien. Im nachhinein erzitterte Kreisler bei der Vorstellung eines FJS, der diesem Lied applaudiert.

Kreisler befindet sich in dem Widerspruch, den auch Franz Josef Degenhardt offenbarte, als er, mit Zwischentönen, meldete, daß Zwischentöne Krampf im Klassenkampf seien. Kreisler macht diesen Widerspruch sich und seinem Publikum bewußt. Und er kneift nicht, wie jene Kabarettistenkollegen, die er so charakterisiert: »Man ist nicht rechts, man ist nicht links, man ist modern. / Man ist Vermittler, / wie schon bei Hitler.« Geblieben ist bis heute die Freude an überraschenden Reirnen, die zum Markenzeichen Kreisler gehören. Hieß es in einem frühen Lied: »Sagst du >Einen Sohn möcht ich<, / werden alle ohnmöchtich«, so reimt Kreisler später: »Befasse dich einmal mit Gnosis, / dann wirst du merken, was los is, / nämlich daß unsere Welt einfach zu groß is.«

[Texte von »Der Bluntschli«, »Der guate, alte Franz«]