Alben & Lieder
Wir sind nur Menschen
1983, Text: Georg Kreisler
Sagen Sie mal einem Lehrer, daß er Stuß erzählt!
Er wird sagen, er erzählt nur, was er muß,
und wird hinzufügen, daß er nicht nur was er muß erzählt,
er erzählt auch, was er will, und damit Schluß!
Was er will, was er soll, was er darf, was er kann,
was er weiß, daß ihm nicht übel ausgelegt wird,
denn sein Chef ist der Staat und es kommt darauf an,
daß die Jugend systemtreu geprägt wird.
Folglich wird nicht widersprochen und beim Schreiben nicht gekleckst
und der Pfeffer wächst und wächst und wächst und wächst.
Aber überall im Land fängt man auch nachzudenken an
und man fragt, wohin das alles denn hinausläuft.
Jeder merkt, daß doch das Leben nicht nur daraus bestehen kann,
daß man hin und her, zur Arbeit und nach Haus läuft.
Und die Jugend fragt so unbequeme Fragen.
Und als Alter muß man letzten Endes sagen:
Wir sind nur Menschen, gewöhnliche Menschen.
Wer weiß, wann wir uns wiedersehen!
Sinnloserweise auf Reise im Kreise,
zu spät, kurz vorm Verlorengehen,
aber stolz, voll Gewissensnot und Zärtlichkeit,
immer einen Kuß im Handgepäck,
und das Heimweh ist groß.
Schrei los, ganz los, weit los!
Nichts zu erreichen, zu dumm zu entweichen —
wer weiß, wann wir uns wiedersehen!
Alles fremd, alles zu,
wo ich nicht bin, bist du.
Sagen Sie mal einem Kanzler, daß er Quatsch erzählt!
Er wird sagen, er erzählt nur, was er glaubt,
und wird hinzufügen, daß er trotzdem nicht nur Tratsch erzählt,
er erzählt auch, was er will, und überhaupt
was er soll, was er darf — er erwähnt seine Pflicht,
seine Sachzwänge und andere Momente,
und wird sagen, nicht nur er, auch seine Freunde glauben nicht,
daß die andere Partei es besser könnte.
Denn jeder Kanzler will das Beste, nur die Welt ist wie verhext.
Und der Pfeffer wächst und wächst und wächst und wächst.
Aber grade hier in Deutschland, in der Mitte des Gefechts,
gibt's die klügsten und bedeutungsvollsten Kritiker,
die uns sagen: Wer braucht den Staat, weder links, schon eher rechts?
Patriotisch sind heut nur noch die Politiker.
Aber ohne Staat war's Leben gar nicht möglich
und so sagen uns die Klügsten beinah täglich kläglich:
Wir sind nur Menschen, gestrandete Menschen,
die nie einander wiedersahn.
Liebe und Demut und Sehnsucht und Wehmut,
vielleicht sind die nur Größenwahn.
Ist es wahr, daß die Wahrheit nur erfunden ist?
Dann sind wir allein und hoffnungslos.
Doch das Heimweh bleibt da,
sehr nah, ganz nah, tief nah.
Das ist das Schwere: Das Schmiegen ins Leere.
Wer weiß, wann wir uns wiedersehen!
Sag, du willst! Sag vielleicht!
Hör mich atmen, das reicht.