Alben & Lieder
Wiegenlied Babysitterlicherseits
1962, Text: Georg Kreisler
Schlaf! Schlaf!
Schlaf, du verlassenes Kind!
Glaubst du vielleicht,
daß ich gern bei dir sitz'?
Oder daß ich dich
im Notfall beschütz'?
Falls du das glaubst,
sag ich nein.
Schlaf! Schlaf ein!
Schlaf! Schlaf!
Schlaf nur, du häßliches Kind!
Brauchten wir nicht
die Bezahlung zuhaus,
führten mich Hans oder
Emil jetzt aus.
Wage nur ja nicht
zu schrein!
Schlaf! Schlaf ein!
Deine Mutter, dein Vater, warum sind sie nicht
bei dir? Das war doch normal.
Nein, die besaufen sich
oder sie kaufen sich
mich
Denn du bist ihnen egal.
Schlaf! Schlaf!
Schlaf, du betrogenes Ding!
Hast deinen Vater
um vieles geprellt,
machst ihm viel Sorgen
und kostest ihn Geld,
glaubst du, er wird dir
verzeihn?
Schlaf! Schlaf ein!
Dein Vater warf ein Auge auf mich,
das war nicht mißzuverstehn.
Das weiß deine Mutter nicht, aber ich
habe es deutlich gesehn.
Deine Mutter ist deinem Vater nicht treu,
auch wenn sie es ihm verspricht.
Sie hat immer großen Männerverbrauch.
Das wissen alle, dein Vater auch.
Nur du, du weißt es noch nicht.
Noch nicht.
Sie wollten dich nicht,
sie wollten dich nicht,
du warst ihnen sicherlich peinlich
und bringst ihnen nun, da du da bist,
wahrscheinlich
kein Glück.
Drum gehen sie aus und kümmern sich nicht.
Doch mach dir nichts draus,
sei nicht kleinlich,
du zahlst ihnen dann, wenn du groß bist,
noch alles zurück.
Schlaf, schlaf,
denn später wirst du erwachen,
dann brauchst du all deine Stärke,
dann sei bereit!
Schlaf, schlaf,
vorläufig kannst du nichts machen.
Eines Tages fehlt dir zum Schlafen
die Zeit.
Eines Tages ists Schluß mit dem Schlafen
Dann kannst du dich wehren,
dann kannst du schrein,
dann kannst du dich weigern.
Vielleicht wirst du's schaffen,
nicht so wie deine Eltern
zu sein.
Eines Tages fallen die Schranken.
Du wirst nicht verzeihn,
denn du wirst es verstehen.
Und du wirst ihnen nicht
bedingungslos danken,
sondern kalt und stolz
deines Weges gehen.
Eines Tages wirst auch du
protestieren
und wirst dich von allem Zwang befrein. -
Eines Tags kann's auch mir passieren,
eines Tags kann ich Mutter sein.
Ein Kind wie du wird dann vor mir liegen
und schlafen und schreien wie jedes Kind.
Denn sie müssen ja warten, bis sie was kriegen
und warten, bis sie erwachsen sind.
Wie werd ich es halten?
Wie werd ich ihm zeigen,
daß ich es liebe um jeden Preis?
Was werd ich ihm sagen?
Und wann werd ich schweigen?
Was tu ich,
wenn ich selbst nicht weiß?
Schlaf! Schlaf!
Schlafe, du wehrloses Kind!
Sorge dich nicht
um die finstere Nacht!
Nichts kann geschehen.
Du wirst ja bewacht.
Noch bist du nicht ganz allein.
Schlaf!
Schlaf ein!