Alben & Lieder

Samoa

1985, Text/Musik: Georg Kreisler

Version A

Ich frage: Gab's je eine Zeit  
mit nichts als Frieden weit und breit?
Gab's eine Zeit, in der kein Hunger und kein Krieg war?
Gab's eine Zeit ganz ohne Neid
ganz ohne Arbeitslosigkeit,
in der nicht alles voll Gewalt und Politik war?

Ich kenn' ein Dörflein im Südosten von Samoa,
dort steht die Zeit still. Schon seit Neunzehnhundertneun.
Das Volk ist froh dort und wird täglich immer froher.
Man hat nichts anderes zu tun als sich zu freuen.

In diesem Dörflein in Samoa hat man alles, was man braucht.
Und ganz egal, wo was passiert, es nicht dort.
Es gibt nur Heiterkeit und Ruh.
Doch wer zieht hin? Nicht ich, nicht du!
Im Gegenteil: die Samoaner ziehen fort.

Die Samoaner ziehen nach Japan, nach New York und nach Berlin,
um sich an Umweltschmutz und Aktien zu berauschen.
Vielleicht wär's gut, wenn wir indessen nach Samoa 'rüberziehen,
in anderen Worten: mit den Samoanern tauschen.

Wir bauen dort Autobahnen, Fernsehen, eine Oper,
gründen Parteien - was man so braucht zu seinem Glück.
Die Samoaner schaffen Frieden in Europa.
Und dann kehrt jeder in sein Heimatland zurück.

Nun wird man sagen, das ist ein Traum.
Wer zu viel träumt, kommt in den Knast.
Der Kanzler schätzt es nicht, wenn man von Träumen spricht.
Doch das Geheimnis, komm gib acht:
Ein Traum gibt Kraft; wir brauchen Macht.
Das ist der Unterschied: wo Macht ist und wo nicht.

Seit ich das weiß, läßt mich das Los der Samoaner nicht in Ruh.
Ich sag mir: Macht hat immer der, der an sie rankommt.
Doch was mich wachhält jede Nacht,
ich frag: Was macht man ohne Macht?
Und in Samoa weiß man das, sobald man ankommt.

Ich fange an, die Samoaner zu beneiden,
und hoffe insgeheim, auch sie beneiden mich.
Doch wenn ich frag': Wer hat's denn besser von uns beiden?,
dann läßt mich schlicht meine Entscheidungskraft im Stich.

Hier ist es häßlicher als dort. Dafür ist's dort bestimmt sehr fad.
Und wär' man dort, man zöge fort und wieder hin.
Wir wollen Macht, wir wollen Traum.
Und in Samoa wächst ein Baum,
wer drunter einschläft, träumt begeistert von Berlin.


Version B

Ich frage: Gab's je eine Zeit
mit nichts als Frieden weit und breit?
Gab's eine Zeit, in der kein Hunger und kein Krieg war?
Gab's eine Zeit ganz ohne Neid
ganz ohne Arbeitslosigkeit,
in der nicht alles voll Gewalt und Politik war?

Ich kenn' ein Dörflein im Südosten von Samoa,
dort gibt es weder Krieg noch andere Quälereien.
Das Volk ist froh dort und wird täglich immer froher.
Man hat nichts anderes zu tun, als sich zu freun.

In diesem Dörflein in Samoa lebt man glücklich vor sich hin,
denn was in aller Welt passiert, passiert nicht dort.
Man lebt dort nur in Harmonie.
Doch wer zieht hin? Nicht ich, nicht Sie!
Im Gegenteil: die Samoaner ziehen fort.

Die Samoaner ziehen nach Japan, nach New York und nach Berlin,
um sich an Umweltschmutz und Aktien zu berauschen.
Vielleicht wär's gut, wenn wir indessen nach Samoa 'rüberziehen.
In anderen Worten: mit den Samoanern tauschen.

Wir bauen dort Autobahnen, Fernsehen, eine Oper,
gründen Parteien - was man so braucht zu seinem Glück.
Die Samoaner bauen Samoa in Europa.
Und dann kehrt jeder in sein Heimatland zurück.

Sie werden sagen: das ist ein Traum,
das wird dem Kanzler nicht gefallen,
weil der bestimmt von Träumen ziemlich wenig hält.
Und in Samoa andrerseits hat das Wort "Kanzler" wenig Reiz,
weil sich die Frage nach der Macht dort gar nicht stellt.

Bei uns heißt Macht soviel wie Glück,  
auch wenig Macht, die kaum wen stört.
Wer keine Macht hat, kommt sofort unter die Räder.
Ob Chef, ob Mutter, Frau und Mann,
gäb's keine Macht, wo wären die dann?
Doch in Samoa weiß das offensichtlich jeder.  

Und doch wär's falsch, die Samoaner zu beneiden,
denn die beneiden ja auch uns aus ihrer Sicht.
Drum wenn man fragt: Wer hat es besser von uns beiden?,
dann muß die Antwort sein: das weiß ich leider nicht.

Hier lebt man hektischer als dort. Dafür ist dort so gar nichts los.
Und wär' man dort, man zöge fort und wieder hin.
Der Mensch will beides: Macht und Traum.
Und in Samoa wächst ein Baum,
wer drunter einschläft, träumt begeistert von Berlin.