Alben & Lieder
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Mit dem Rücken gegen die Wand
1979, Text/Musik: Georg Kreisler
Wer hat nicht schon vom schönen Land,
	vom Einfamiliennordseestrand,
	wer hat nicht schon, aber will noch wer? – Na eben.
	Wer hat nicht schon, aber gibt nicht auf?
	Die Träne quillt im Dauerlauf.
	Bad Tölz bleibt doch Bad Tölz.
	Es fragt sich: Wem geföllt’s?
	Da kann man sich als Deutscher nur entschließen,
	die chronische Bronchitis zu genießen.
	Mit dem Rücken gegen die Wand
	kommt man durchs verlorene Land.
	Manchmal sieht man ein paar Kälber,
	bis man merkt: Das ist man selber.
	Und man greift sich an die Stirn,
	denn die Landschaft ist voll Zwirn,
	und die Politiker tragen Zylinder überm Hirn.
	Mit dem Rücken gegen die Wand
	verliert man fachgerecht den Verstand.
	Die Gedanken werden kahler,
	und das Volk will’s noch totaler,
	und das Lexikon ist dünn, 
	denn es steht schon nichts mehr drin.
	Und die Künstler und die Spinner,
	die sind alle noch viel dünner,
	nur der Spiegel und die Quick,
	die sind dick.
	Und man hascht, bis man heiser wird.
	Und man schreit, bis man leiser wird.
	Tante bringt Kaffee und Kuchen
	mit Sorbin und Sorban
	und Urin und Uran.
	Mit dem Rücken gegen die Wand
	legt man heimlich einen Brand,
	doch die Menschen sind aus feuerfestem Scheibenkleister.
	Sie trinken Jägermeister
	und Wacholderbrand,
	und haben alle ihren Rücken gegen die Wand.
	Der Stammtisch steht beim Weihnachtsbaum.
	Das Wetter ist voll Seifenschaum.
	Wer hat noch nicht, aber will noch wer? – Na eben.
	Der Frieden ist zum Warten da,
	die Luft bleibt an der Adria.
	Die Türken müssen weg!
	Der Mörder wohnt ums Eck.
	Da kann man sich’s als Deutscher nicht verhehlen,
	die Todesstrafe herzlichst zu empfehlen.
	Mit dem Rücken gegen die Wand
	nimmt der Nebel überhand.
	Das Gelogene wird noch schlimmer,
	und die Juden gibt’s noch immer.
	Und die Physiker prophezeih’n,
	doch die Generale sagen nein.
	Und der Hitler steigt in Filmgeschäfte ein.
	Mit dem Rücken gegen die Wand
	reicht man andern zwar die Hand,
	doch in Schulen und Kasernen
	muß man Leben neu erlernen.
	Die Hygiene wird verbessert,
	die Tränen werd’n entwässert.
	Die Bedrücker und Beglücker
	werden alle Tage dicker,
	nur die Frager nach dem Sinn
	bleiben dünn.
	Und man glaubt an das, wofür geworben wird.
	Und man kämpft für was,
	bis man gestorben wird.
	Nächsten Sommer geht’s nach Zypern
	mit Gemahl und Gehalt
	und Gepäck und Gewalt.
	Mit dem Rücken gegen die Wand
	kam auch dieses Lied zustand’,
	damit die Leute, die es hör’n, ein bisschen weinen können,
	und dann meinen können,
	es wäre hirnverbrannt,
	denn alle, alle, alle, alle,
	alle, alle, alle, alle,
	alle haben den Rücken gegen die Wand.
 
				
				 
				
				