Alben & Lieder

Kleine Leute müssen schweigen

1963, Text/Musik: Georg Kreisler

(Er:)
Ich bring’ jetzt die große Nummer vor der Pause,
Sie selbst wissen, diese Nummer hat Gewicht.
Zwar geh’n manche in der Pause schon nach Hause,
jedoch: Wer sich amüsiert, der tut das nicht.

Zum Beispiel:
Ich nehm’ a
sehr lustiges Thema,
das dann im Foyer man belacht.

(Sie:)
Du sollst dich was schämen,
es gibt doch auch Themen,
erfüllt mit Problemen von Macht.
Wir sind doch auch politisch beide bestens informiert.
Da ist zum Beispiel Donnerstag das folgende passiert.
(Bitte erzähl’ jetzt sofort, was in Paris passiert ist).

(Er:)
Ein Moment!
Bitte halt!
Nur nicht mit Gewalt!

Wenn ein kleiner Mann mal sagen will,
wie die Welt ihm an den Kragen will,
wie das Schicksal ihn erschlagen will,
bringt ihm das nie Glück!

(Sie:)
Denn sein Aufschrei gegen die Schändlichkeit,
tönt hinaus in die Unendlichkeit.
Dadurch leidet die Verständlichkeit,
und er nimmt’s zurück.

(Beide:)
Kleine Leute müssen schweigen,
wenn’s auch noch so kracht.

(Er:)
Leise klingen ihre Geigen,
in der lauten Nacht.

(Sie:)
Ihre Pauken und Trompeten,
haben kein Ventil.

(Er:)
Kleine Leute dürfen beten,
aber sonst nicht viel.

(Sie:)
Wenn ich bess’re Kameraden hätt’…

(Er:)
Wenn die Straße Barrikaden hätt’…

(Sie:)
Wenn mein Vater einen Laden hätt’…
Gäb’s vielleicht nie Krieg!

(Er:)
Da ich keinen schlechten Magen brauch’,

(Sie:)
nächstes Jahr den neuen Wagen brauch’,

(Er:)
und für’s Geld mich nicht zu plagen brauch’.

(Beide:)
Mache ich Musik!

(Sie:)
Moment!
Schließlich hab’ ich auch noch ein Gewissen,
und das duldet eben keinerlei Zensur!

(Er:)
Ja, ja!
Auch ich
wurde vom Gewissen schon gebissen,
doch gibt’s
dafür eine ganz besondere Kur!

(Sie:)
Was für eine Kur?

(Er:)
Dein Chef wird verständigt,
die Zeitung gebändigt,
ein Geldbrief beendigt den Dreh!
Der König bleibt König,
es ändert sich wenig,
nur du find’st Arsenik im Tee!

(Sie:)
Auf diese Weise schweigen also alle Leute still?

(Er:)
Oh nein, sie reden nur,
wenn man sie reden lassen will!

(Sie:)
Ich will jetzt,
und ich red’!

(Er:)
Gut,
aber sei diskret!

Wenn ein Kleiner was Internes weiß,
ja vielleicht den Kern des Kernes weiß,
doch als Kleiner nichts von Fairneß weiß,
dann erfährt er’s bald.

(Sie:)
Denn bevor er’s noch begriffen hat,
und ein Auge zugekniffen hat,
und der Welt das Ding verpfiffen hat,
ist die Nachricht alt.

(Beide:)
Kleine Leute müssen schweigen,
denn das zeigt Geduld.

(Er:)
Wenn sie sonst noch etwas zeigen,
kriegen sie die Schuld.

(Sie:)
Um das Leben zu versüßen,
gibt’s ja mancherlei.

(Er:)
Kleine Leute dürfen grüßen,
denn der Mensch ist frei.

(Sie:)
Wenn man niemals
einen Dümmer’n kennt…

(Er:)
Wenn ich meinen Kopf
zertrümmern könnt…

(Sie:)
Wenn ich mich nur etwas kümmern könnt’
um die Politik.

(Er:)
Da ich aber niemand kränken will,

(Sie:)
doch der Mitwelt etwas schenken will,

(Er:)
und dabei nicht zuviel denken will,

(Beide:)
Mache ich Musik!

(Sie:)
Genug!
Was wir hier verbrechen, ist Verbrechen!
Denn dies spricht ja uns’rer Menschenwürde Hohn.
Ich bin fest entschlossen, heute hier zu sprechen.
Und ruf’ auf zur Revolution!
Ich ruf’ auf zur Revolution!
Revolution!

(gesprochen:)

Meine Damen und Herren,
am vorigen Donnerstag fand in Paris ein erschütterndes Ereignis statt. Nur durch Zufall wurde es uns beiden bekannt, denn noch wird es geheim gehalten. Bis die Öffentlichkeit davon erfährt, könnte es aber unter Umständen zu spät sein. Ich halte es daher für meine Pflicht, Sie hier und heute von diesem historischen Ereignis in Kenntnis zu setzen…

(Telefonklingeln ertönt, sie hebt den Hörer ab)

Hallo?

Was Sie nicht sagen!

Was Sie nicht sagen!

Was Sie nicht sagen!

(Sie legt den Hörer auf)

(Er:)
Was will er?

(Sie:)
Das hat er nicht gesagt.

(gesungen beide:)
Kleine Leute müssen schweigen.
Wozu sind sie klein?

(Er:)
Wenn die Großen sich verneigen,
muss es ruhig sein.

(Sie:)
Und die alten Karawanen
zieh’n den alten Gang.

(Er:)
Kleine Leute dürfen planen,
denn das dauert lang.

(Sie:)
Wenn ich einmal nicht im Kreise ging,

(Er:)
beispielsweise auf die Reise ging,

(Sie:)
und nicht unbemerkt und leise ging,
ohne viel Kritik.

(Er:)
Aber da ich nicht verreisen kann,

(Sie:)
wenn ich’s täte, nur entgleisen kann,

(Er:)
und das alles nie beweisen kann,

(Beide:)
mache ich Musik!
Musik!
Musik!
Mache ich Musik!

(Er:)
Und so
züchtet man die Jugend sich hinab!

(Sie:)
Und so
liest man in der Zeitung nicht genügend!

(Er:)
Und so
missversteht man immer seine Sache!

(Sie:)
Und so
leitet man Moral ab von Finanzen!

(Er:)
Und so
Rüstet man den Osten für den Westen

(Sie:)
Und so
Bleibt man in Europa wieder sitzen!