Alben & Lieder

Gnädige Frau

1965, Text/Musik: Georg Kreisler

Fühlen Sie manchmal auch, gnädige Frau,
den Dreck, gnädige Frau,
der Liebe?

Fühlen Sie manchmal auch, gnädige Frau,
die kalte Schufterei bei einem Ball?
Jemand singt von Liebe.

Als könnte man sie singen.
Sind Sie nie bestürzt, gnädige Frau,
daß man Sie mit gnädige Frau anspricht, gnädige Frau?

Lieben Sie Musik, gnädige Frau,
den Tanz, gnädige Frau,
die Männer?

Träumen Sie manchmal, gnädige Frau,
und vergessen dann tagsüber Ihren Traum?
Träumen Sie von Kindern?

Auch solchen, die verhungern?
Nein, Sie sind doch Mensch, gnädige Frau,
und die anderen sind es kaum.

Ihr Kleid ist ein Gedicht.
Wie man Sie anstarrt.
Sie sind so schön und können nichts dafür.
Wer noch kann nichts dafür von allen Menschen?

Der General, der drüben tanzt
und morgen irgendwem befiehlt,
Ballistik oder Abwehr zu studieren?

Ja, wo beginnt die Schuld, wo hört sie auf?
Bei dem, der ein Lächeln auslöscht,
oder bei dem, der trotzdem weiterlächelt?
Beim Tanzen? Beim Flirten?

Fühlen Sie manchmal auch, gnädige Frau,
die Pflicht, gnädige Frau,
noch heute irgendwas zu tun?

Nicht nur hier zu sein, gnädige Frau,
und zu warten, daß man Sie zerstreut und unterhält?
Oder rauchen Sie zu viel, gnädige Frau?

Und wer ist Ihr Lieblingsfernsehstar, gnädige Frau?
Und was kriegt Ihr Mann zu Weihnachten, gnädige Frau?
Und wohin fahren Sie im Sommer, gnädige Frau?

Wenn Sie applaudieren, gnädige Frau,
und lächeln, gnädige Frau,
und für den Geiger jetzt ein kleines Trinkgeld bestellen,
haben Sie keine Angst, gnädige Frau,
dieser Geiger verzichtet auf Ihr Geld.
Wenn er Sie jetzt ohrfeigt -
aber er bedankt sich.

Und Sie tanzen weiter, gnädige Frau,
und weiter stirbt die Welt.