Alben & Lieder

Eine kleine Gutenachtmusik

1975, Musik: Wolfgang Amadeus Mozart, Text: Georg Kreisler, Hans Weigel

[Prolog]
Hingegen, wenn man kultiviert ist,
wie schön in Konzerte zu gehn.
Dort zeigt man, wie gut man dressiert ist,
und auch sonst ist so manches zu sehn.
Man geht ja nicht hin wegen der hohen Kultur,
weil, sonst ginge man schleunigst zurück.
Auch nicht zum Vergnügen, ja gar keine Spur,
und schon gar nicht wegen der Musik.

Man geht heutzutage ins Konzert,
weil man dort verschiedenes erfährt.

Erstens ist man nicht irgendwo
und trotzdem nirgendwo.
Man gilt als künstlerisch und doch solid.
Wer ins Konzert geht, hat es schon zu was gebracht.

Mozart gut geübt
ist beliebt,
weil er nie plötzlich in Gespräche kracht.
Ja, der Wolfgang Amadeus
hat sich noch beim Komponieren was gedacht.

So sitzt man da und schaut herum
auf das andre Publikum,
gruppierts im Geiste um,
und wenn das laute Tuten, Blasen, Fiedeln, Lärmen zu sehr stört,
dann redet man sein eigenes Konzert.

Übergehn wir die paar Leut, die den Mozart hören wollen,
man kennt sie dran, daß sie die Augen schließen,
weil sie sich dann angeblich mehr konzentrieren.

Frau Schmidt trägt heut Reseda,
die Haut schaut aus wie Leder.
Frau Meier trägt das Gelbe,
seit Monaten dasselbe.
Auch Herr Blau weiß genau,
warum er im Konzert ist, nämlich wegen seiner Frau.

Frau Stein trägt den Chinchilla,
die Tochter ist in Lila.
Das Söhnchen, ach du Loser,
ist heute ganz in Rosa.
Nur Herr Liszt,
blickt ganz trist,
weil die Harfenistin in der Hoffnung von ihm ist.

So schaut man rundherum im Saal
und sammelt neues Material mit Kennerblick,
über Mozarts »Kleine Nachtmusik«.

Meistens ist bei Mozart ein Konzert
ausverkauft und immer sehr begehrt.

Da drüben der Herr Mandel
bespricht einen miesen Handel,
Frau Kraus ist mit Herrn Kober,
das geht schon seit Oktober,
Herr Schulz ist mit Soubrette,
Herr Lutz rennt zur Toilette,
Herr Koch und Fräulein Griebe
besprechen ihre Triebe,
Herr Rauter schaltet weise
sein Hörgerät auf leise,
Herr Drechsel schreibt einen Wechsel,
Herr Unger hat schon Hunger.
Man fragt sich nur, wozu braucht man Musik dazu!

Bei jedem richtigen Konzert
ist Musik ein Fremdkörper, der stört

Mozart kann noch erträglich sein,
auch Bach kann möglich sein,
hingegen Beethoven ist schon zu laut.
Auch Bruckner, Brahms und Gustav Mahler lenken ab,
und ich finde, mit Hindemith
geht man auf jeden Fall schon viel zu weit.
Ganz zu schweigen von Banausen wie Stockhausen
oder Schönberg oder Egk,
die müssen weg,
die sind nicht fein,
im Konzert kann ich nicht schreien,
modern bin ich allein.
Strawinsky macht mich krank,
genau dasselbe gilt für Orff,
Daß der das dorf!

Drum wenn man Modernes spielt,
will kein Mensch mehr hingehn,
bis auf die Leute, die die Augen schließen,
weil sie sich dann angeblich mehr konzentrieren.

Doch nirgends ein Herr Mandel
mit einem miesen Handel,
Frau Stein ist samt Chinchilla
daheim in ihrer Villa,
auch Frau Kraus
bleibt zu Haus,
statt die Scheidung zu riskieren wie bei Bach und Johann Strauß,

Herr Schulz geht früh zu Bette
statt aus mit der Soubrette,
es schaltet auch Herr Rauter
sein Hörgerät auf lauter.

Jedermann
denkt dann dran,
daß Musik auch protestierend und rebellisch wirken kann.
Am Ende merkt man noch, oh Graus,
Musik klärt auf und sagt was aus
und stürmt das Haus.

Aber noch haben wir ja Mozarts »Kleine Nachtmusik«,
zum hundertzwölften Male Mozarts »Kleine Nachtmusik«.
Die Welt bleibt heil!
Die Kunst greift nicht ins Leben ein,
im Gegenteil!
Die Kunst soll niemand reizen, darin liegt ihr Reiz.
Applaus allerseits!