Alben & Lieder

Ein Haus am grünen Bach

1968, Text/Musik: Georg Kreisler

Und dann hast du was erreicht, dann ist das Leben leicht –
oder ist es das?
Und dann hast du was gebaut, und alle haben geschaut –
oder war da was?
Bin ich wirklich blaß?

Die Ner-, die Ner-, die Nervosität
ist der dunkelste Punkt, den man hat.
So sehr, so sehr, so sehr man sich bläht -
nur zu bald schwankt der Thron,
und die Luft im Ballon
pfeift hinaus, und man fällt wie ein Blatt.

Das Blatt, das Blatt, das Blatt, das da fällt,
das bin ich, Fall und Knall, klipp und klar.
Die Glat-, die Glat-, die Glatze der Welt,
die bin ich noch viel mehr,
denn man lässt mir nachher,
wenn ich tot bin, nicht ein gutes Haar.

Klein, aber mein, aber voll, aber ganz, aber
schnell, aber gleich, aber schlau –
das geht so leicht, doch nur beinah.
Kraft, aber Glück, aber Kampf, aber Ziel, aber
Mut, aber hin, aber her –
die Zeit ist um, und ich steh immer noch da.

Und Ner-, und Ner-, und Nervosität
fällt mir groß in den Schoß wie ein Kloß,
und ich werd sie bestimmt nie mehr los.

Dabei heul ich doch so gerne mit den Wölfen
und lass dem Zufall möglichst wenig Raum,
will immer meinen Zeitgenossen helfen.
Mir selber helf ich kaum;
ich hab nur einen Traum:

Ein Haus am grünen Bach
mit Schwalben unterm Dach,
Abendröte und Morgenruh
und das Bargeld dazu.
Ein Falter baut sein Nest
im Mangobaumgeäst.
Und im eigenen Rosenhain
schläft man dann schöpferisch ein.
Menschen hat man sich abgewöhnt,
Kuh und Ochs preisgekrönt,
und der Ruf der Schalmei ertönt
fehlerfrei übers Land...
Horch! Da zittert ein Espenlaub
tief im wuchernden Wald.
Dort, wo’s Licht durch die Zweige tropft,
hat die Lerche ein Ei getropft.

Der Tatendrang wird schwach
im Haus am grünen Bach.
Zwischen Tulpen und Hühnermais
weiß man nicht, was man weiß.
Wenn der Storch überm Tannenried
größere Kreise zieht,
seufzt man leise ein Lied und bettet sich flach
am grünen Bach.

Die Welt ist weit.
Die Sonne hat Gelegenheit.
Der Mond ist türkis.
Die Erde dreht sich wie am Spieß,

und Ner-, und Ner-, und Nervosität
klebt sich fest wie die Schnecke am Steg.
Und fer-, und fer-, und fertig genäht
ist mein Wort und mein Blick
und der Strick um’s Genick
und mein Herz und mein Schlaf und mein Weg.

Durch Mut-, durch Mut-, durch Mutlosigkeit
steh ich bleich an der Schlucht des Verzichts.
Man tut, man tut, man tut sich so leid,
ach: man will schon nichts mehr,
(aber das will man sehr),
nur ein Loch, nur ein Haar, nur ein Nichts.

Hals über Kopf über Berg über Tal
über Fluß über Stock über Stein:
So frisst man sich durch dicken Brei.
Wer unterdes unterwegs unterbricht,
der erschrickt, weil er plötzlich erkennt:
Die Zeit ist um! Sie war schon immer vorbei.

Und Ner-, und Ner-, und Nervosität
legt sich schwer in die Quer wie ein Bär,
und versperrt das Wohin und Woher.


Dabei strebte ich doch nie zu weit nach oben,
und die Kirchenmaus war jahrelang bei mir.
Ich will mich nicht zum Abschied selber loben –
ich bin kein großes Tier; ich will nur so wie ihr:

Ein Haus am grünen Bach
mit Schwalben unterm Dach.
Himmelblau unter Denkmalschutz,
Wiese unter Verputz.
Am Waldesrand gedeiht
der Löwenzahn der Zeit.
Barfuß bis an die Heldenstirn
schont man Hose und Hirn.

Leise schläft man sein Leben leer.
Nachgedacht wird nicht mehr.
Blütenstaub macht die Augen schwer.
Neues kann nicht geschehn.
Horch! da wächst ein Vergissmeinnicht.
Deutlich ruft es: Hurra!
Und ein kleines Karnickelkind
schnarcht so laut wie ein Wickelkind.

Mit Mühe bleibt man wach
im Haus am grünen Bach.
Zwischen Tulpen und Rosmarin
döst man so vor sich hin.
Bis der Storch überm Tannenried
größere Kreise zieht,
dann erst seufzt man ein Lied
und bettet sich flach
am grünen Bach,
am grünen Bach.

Die Welt ist leer.
Der Kummer fliegt im All umher.
Die Berge blühn,
und der Bach, der ist grün.