Alben & Lieder
Ein besserer Mensch
1961, Text: Georg Kreisler
Ein besserer Mensch ist verantwortungsvoll,
bescheiden und klug, doch nicht weise.
Die Sorgen der Welt waren ihm längst schon bekannt,
bevor, er sich eigene Sorgen erfand.
Er ist ehrlich und höflich und leise.
Ein besserer Mensch ist ein besserer Mensch.
Er betrachtet das Leben als Pause.
Er hat stets den passenden Shakespeare im Munde.
Er wickelt zehn Meter Spaghetti pro Stunde.
Am Muttertag bleibt er zu Hause.
Er schenkt seiner Braut Aspirin zum Geburtstag
und freut sich, wenn sie eines nimmt.
Er nimmt sich seit Jahren vor, fechten zu lernen.
Er hört gerne Opern, doch nicht die modernen,
denn da merkt er nicht, wenn was nicht stimmt.
Ein Pferd ist ein Pferd und ein Hund ist ein Hund
und ein Schwein bleibt bekanntlich ein Schwein,
ein Mensch ist ein Mensch, doch ein besserer Mensch,
der muß ganz was Besonderes sein.
Denn ob er nun arm ist wie Schubert und Gandhi
oder ob er nun Geld hat wie Heu,
ob Haussen, und Baissen die Menschen erpressen,
durch Kriege und Siege, auf Matchen und Messen,
ein besserer Mensch bleibt sich treu.
Und wenn es dir schlecht geht, ist er es, der dich,
ob du's brauchst oder nicht, unterstützt.
Er wünscht dir „Kopf hoch!“ und „Es wird uns schon glücken!“
Er nickt mit den Wimpern und klopft dir den Rücken.
Und er krankt sich sehr, wenn es nichts nützt.
Er hat viel Familie und die ist ihm heilig,
wie sein Photoalbum beweist.
Und mit der Familie ist alles harmonisch.
Den zweitjüngsten Bruder kennt er nur telefonisch.
Und wenn, ist er meistens verreist.
Ein Aal ist ein Aal und ein Hecht ist ein Hecht
und ein Huhn bleibt ein Leblang ein Huhn,
ein Mensch ist ein Mensch, doch ein besserer Mensch
findet immer was Besseres zu tun.
Ein besserer Mensch hat Erfolg in der Liebe,
denn wenn er liebt, geht es vorüber.
Daß man ihn liebt, versteht er. Er selbst tut's ja sehr.
Seine Frau heißt Emilie, sein Söhnchen heißt Pierre.
Aber umgekehrt war's ihm fast Heber.
Ein besserer Mensch ist ein besserer Mensch,
denn er ist von Geburt Idealist.
Affären hat er selten und nur mit Distanz.
Am liebsten erwählt er die Gattin des Manns,
der ihm etwas Geld schuldig ist.
Dem besseren Menschen ist Krankheit zuwider,
drum bleibt er gesund bis nach sechzig.
Dann stirbt er. Und dann kommen alle Verwandten,
vor allem diejenigen, die ihn nicht kannten,
die Muhme aus Fiume, die Kinder über zehn,
um ihn noch einmal zu sehn.
Dann weinen sie, unehrlich, aber devot,
nur ein kleiner Junge schluckt und wird rot
und fragt: „Mutti, er war doch ein besserer Mensch,
wieso ist er eigentlich tot?"