Alben & Lieder

Du hast ja noch dein Grab

1971, Text/Musik: Georg Kreisler

Der Mensch geht durch das Publikum nach Hause.
Die Vorstellung ist aus, die Zeit ist knapp.
Er beugt sich noch dem letzten freundlichen Applause,
dann zuckt er mit den Achseln und geht ab.
Die Rolle war zu klein, weil man ihn unterschätzte.
'Die Großen hab'n es leichter', denkt er bös.
Doch keiner ist der erste, keiner ist der letzte,
drum mach dir nichts daraus
und geh nicht bös nach Haus;
die Angelegenheit ist noch nicht aus:

Du hast ja noch dein Grab, um dich drin zu freuen.
Du hast ja noch den Tod und was nachher bleibt.
Sobald dein Hirn verfault, wirst du nichts bereuen,
und dann gibt es niemand, der dich weitertreibt.
Da liegst du dann und siehst nicht einmal die Vögel,
erinnerst dich auch nicht an die liebe Frau.
Du frißt kein altes Brot, kaust auch keine Nägel,
deinen Namen weißt du auch nicht mehr genau.
Na, ist das nicht ein Spaß,
keiner sagt dir, wie und wo und was,
keiner wirft dich weg, keiner hebt dich auf, keiner schlägt dich klein.
Ja, der Tod ist eine Lust,
und du kannst auch furzen, wenn du mußt,
denn der Himmel hat dir nichts mehr zu verzeihn.
Drum freu dich keines Lohnes und keiner Titel,
und bau auf keinen endgültigen Vertrag.
Der Zweck, für den du lebst, heiligt keine Mittel,
freu dich lieber auf die Qual,
auf die Krankheit, aufs Spital,
freu dich nur auf deinen letzten Tag.

Die Glücklichen sind längst vorangegangen,
Die Unglücklichen zählen noch ihr Geld.
Die ganze Welt steht angestellt in Schlangen,
und jeder wartet, bis sein Stichwort fällt.
Der Mut ist klein, die Mädchen sind vergessen.
Die Angst ist groß, die Hoffnung zählt nicht viel.
Die Körperlänge wird dir noch einmal gemessen,
und liegst du nicht bequem,
so ist das kein Problem,
es dauert nicht sehr lang, und außerdem:

Du kriegst ja noch dein Grab, um dich drin zu drehen,
das einzige Ding im Leben, das du sicher kriegst.
Und sollte dort das Drehen irgendwie nicht gehen,
na dann bleibst du eben liegen, wie du liegst.
Im Leben lagst du auch, wie man dir befohlen -
gewöhns dir auch im Grab immer wieder an!
Denn eines Tages wird man dich wieder holen,
weil man dich nicht einfach liegenlassen kann.
Jawohl, egal, ob's dir gefällt,
du kommst immer wieder auf die Welt,
einmal in Berlin, einmal im Tessin oder in der USA.
Zuerst wirst du zu Dreck,
irgendjemand kommt und nimmt ihn weg,
haucht ihm Leben ein - dann bist du wieder da.
Drum freu dich nicht zu früh auf die schöne Ruhe,
auch nicht auf, was im Himmel noch kommen mag.
Du bleibst nur kurze Zeit ohne enge Schuhe.
Freu dich lieber auf den Wein,
auf die Mädchen zwischendrein,
freu dich nur auf deinen ersten Tag.

Vielleicht kommst du als Kalb und wirst geschlachtet.
Vielleicht kommst du als Veilchen, dann wirst du gepflückt.
Als Stinktier wirst du bestenfalls verachtet.
Als Floh wirst du in jungen Jahrn zerdrückt.
Doch kommst du gar als Mensch - das ist das schlimmste,
weil Menschen zwar begreifen, was ihnen geschieht;
und doch sind sie von allen Tiern das dümmste!
Sie machen es sich schwer,
das tut sonst niemand mehr,
doch sorg dich nicht und sag dir wie vorher:

Du hast ja noch dein Grab, um dich drin zu freuen,
du hast ja noch die Zeit, in der du zerfällst,
und dienst vielleicht als Pfuhl irgendwelchen Säuen,
bis du dich zum Schluß zu ihnen selbst gesellst.
Für Menschen gilt dasselbe wie für Mikroben,
für Säugetier, für Fisch oder für Insekt:
Die Freude ist im Grund ziemlich selten oben,
meistens bleibt sie unten tief im Grab versteckt.
Daraus kann man ersehn,
wieviel wir vom Leben nicht verstehn,
einmal fängt es an, einmal hört es auf - Ende des Berichts.
Soweit man bisher sah,
ist die Welt zu andern Zwecken da.
Nur ein Zufall ist das Leben, weiter nichts!
Drum freu dich nicht zu früh auf ein langes Leben,
und freu dich nicht aufs Grab, denn das steht schon fest.
Die Freude, die du fühlst, trifft ja ganz daneben,
weil die Freude - sieh nur her -
immer weiter, immer mehr,
immer schneller unsre Welt verläßt.