Alben & Lieder

Die Nonne

1985, Musik: Johann Sebastian Bach, Text: Georg Kreisler

Ich zählte sechzehn Jahre
als ich ins Kloster kam.
Dort schor man meine Haare
und sehr bald war ich zahm.
Ich hab seit jenem Tage
im Kloster mein Asyl
und nun stellst du die Frage,
wie ich mich heute fühl.

Ich kann mich heute doch nicht fühlen so wie gestern
und kein normaler Mensch erwartet das von mir.
Denn gestern war ich eine Schwester unter Schwestern,
heute war ich mit dir.

Ich kann mich heute auch nicht fühlen so wie morgen,
weil es mir dazu an Erfahrung noch gebricht.
Ich werde morgen so wie stets für meine Seele sorgen,
heute brauche ich sie nicht.

Zwar ist die Liebe
mit dir bestimmt nicht was für besonders Religiöses,
doch auch nichts Böses.
Und das Geschiebe
und das Getue in der Mitte des Gekröses
ist etwas Deliziöses.

Wenn ich zu dir aus meiner Klosterzelle laufe,
weiß ich vor Frömmigkeit bestimmt nicht, was ich tu.
Ich komme sozusagen von der Taufe in die Traufe.
Schuld daran bist -
Du, mein Herr Jesus, schau mich nicht so an!
Du hast's doch sicher auch getan.
Ich will zu dir beten im schönsten Latein,
aber muß ich deswegen eine Jungfrau sein?
Wenn du mich gekannt hättest dort in Nazareth,
wer weiß, ob ich dein Leben nicht verändert hätt.
Du hättest den Rabbinern gegönnt ihre Gewalt
und hättest dich statt dessen vielleicht in mich verknallt.
Du hättest dann den Römern nicht so trotzig widerstrebt
und wir hätten zusammen noch so manches Jahr gelebt.
Doch leider kam es anders. Es ist, weiß Gott, zum Weinen.
Du hattest zwölf Apostel und mir gönnt man nicht einen.

Es gibt Kolleginnen von mir, die denken anders,
doch meistens nur, weil ihnen sonst nichts übrig blieb.
Und wenn sie tugendhaft sind, ist es nur der Not gehorchend,
nicht dem inneren Trieb.

Genau das gleiche merk ich auch an unserem Pfarrer,
wenn er gelegentlich von Tugend zu mir spricht.
Er spräche sicherlich viel lieber von ganz anderen Dingen,
aber er traut sich nicht.

Und wenn ich beichte, merk ich,
mein Beichtvater ist auch kein Kostverächter.
Wie gerne möchte er!
Und nur der Bischof sieht nicht, welche Vorteile ich habe.
Nun ja, ich bin kein Knabe.

Man soll uns Nonnen drum die Liebe nicht verbieten.
Wir sind bereit dazu und stellen unseren Mann.
Man findet grade bei den Nonnen wenig Nieten,
das wußten schon die Päpste und die Jesuiten.
Rette sich, wer kann!

Ruf mich morgen in der Zelle an!