Alben & Lieder
Der Tod im Konzert
1985, Musik: Ludwig van Beethoven, Text: Georg Kreisler
Kann der Mensch was dafür, daß Konzerte sind? 
	Kann der Mensch was dafür, daß er geht? 
	Ist Konzert eine Form von Gebet, 
	dem wir ohne Humor auf der Fährte sind? 
	Ist Konzert ein Ergebnis der Wissenschaft 
	oder nur eine Form der Musik, 
	die uns auffrißt, als wär sie Aspik 
	und nur zitternd den winzigsten Bissen schafft? 
	Darf der Mensch sich erlauben, 
	sich sicher zu glauben 
	durch Lautsprecher und Mikrophon? 
	Oh, Christine Josefine 
	mit der Leichenbittermiene, 
	warum hast Du nicht Verstand, statt Religion? 
	Der Tod ist nicht nervös, 
	sondern graziös, 
	wie ein Kulturattaché. 
	Er wartet auf dich im Konzerthausfoyer 
	und denkt, vielleicht bleibst du zu Hause. 
	Doch dann sieht er dich nahen, 
	stolz wie ein Hahn 
	und festlich im Flittergewand. 
	Da nimmt er dich ganz galant bei der Hand 
	und führt dich verklärt 
	ins Konzert. 
	Wenn die Geigen drin fertig geschliffen sind 
	und die Flöten geladen mit Blei 
	und die Pauken voll giftigem Brei 
	und die Zuhörer langsam ergriffen sind, 
	wenn der Stardirigent mit der Flinte kommt 
	und sie kaltblütig anlegt und schießt, 
	was dann jeder besonders genießt, 
	wenn der Schuß als verminderte Quinte kommt, 
	ja, dann hört man Puccini, 
	Rossini, Bellini, 
	doch nie, nie 
	den einsamen Schrei. 
	Oh, Christine Josefine 
	mit der Leichenbittermiene, 
	warum hast du nicht ein Ohr, statt deren zwei? 
	Der Tod weint in sein Bier 
	gleich neben dir. 
	Er scheint zufrieden zu sein. 
	Er lauscht mehr in sich selber hinein 
	und plant schon die nächsten Programme. 
	Der Tod ist abonniert. 
	Er finanziert 
	auch manchmal ein junges Talent, 
	sofern es sich deutlich zum Brauchtum bekennt, 
	das heißt, sich bewährt 
	im Konzert. 
	Wer von Bach die Toccata und die Fuge hört, 
	überhört einen Mord in Madrid. 
	Der gehässigste Antisemit 
	hat bei Mendelssohn immer gern zugehört. 
	Und was Mozart im Tiefsten empfunden hat, 
	wird verwandelt und heißt jetzt Kultur. 
	Man empfängt es um Punkt zwanzig Uhr 
	und vergißt, wo die Welt ihre Wunden hat. 
	Daß er Bruckner trainiert 
	und durch Brahms dividiert, 
	unterscheidet den Menschen vom Tier. 
	Oh, Christine Josefine 
	mit der Leichenbittermiene, 
	wenn du Feuer in dir hast, verbrenn's Klavier. 
	Der Tod, und nicht der Ton, 
	macht das Konzert, das unsere Herzen ergreift. 
	Und was uns dabei so im Innersten kneift, 
	ist nichts als das schlechte Gewissen. 
	Der Tod regelt im Frack 
	unseren Geschmack. 
	Und wir bezahlen ihn dafür. 
	Er schließt hinter uns noch die schalldichte Tür, 
	damit uns nichts stört 
	im Konzert.
