Alben & Lieder

Der Musikkritiker

1959, Text/Musik: Georg Kreisler

Heute findet jede Zeitung größere Verbreitung durch Musikkritiker.
Und so hab auch ich die Ehre und mach jetzt Karriere als Musikkritiker.
Ich hab zwar koa Ahnung, was Musik ist,
denn ich bin beruflich Pharmazeut –
aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist:
Je schlechter, desto mehr freun sich die Leut‘!
Es gehört zu meinen Pflichte, Schönes zu vernichten als Musikkritiker.
Sollt‘ ich etwas Schönes finden, muß ich’s unterbinden als Musikkritiker!
Mich kann auch kein Künstler überlisten,
da ich ja nicht verstehe, was er tut.
Drum sag ich von jedem Komponisten:
Erst nachdem er tot ist, ist er gut!
Ja, endlich hab ich einen Posten, und die Zeitung läßt es sich was kosten!
Ich sitz auf dem ersten Platze, und die Sänger sehen meine Fratze!
Orff und Egk und Boris Blacher fürchten meine hohnerfüllten Lacher!
Hindemith, Strawinski und Warwese sind zwar gut, doch ich bin böse...
Ja, ich könnt zufrieden sein, das Schicksal hat mich reich beschert,
aber oh!: mich belastet nur eine Verrücktheit, ich merk es in jedem Konzert:

Ich seh, wie das Publikum weich wird wie Wachs, wenn Musik alle Sinne bewegt,
ich seh, wie beim Zuhörn man trutzigem Manne ein Tränchen die Brille beschlägt.
Nur für mich hat das Zuhörn keinen Sinn:
Weil ich unmusikalisch bin!
Ich seh, wie beim Zuhörn ein Mäderl die Hand ihres Jünglings ergreift und sie drückt,
wie ein Großmutterl zitternd die Halskette abmacht, weil sie sonst vor Rührung erstickt,
nur ich sitz da und hör nicht einmal hin:
Weil ich unmusikalisch bin!

Zu Weihnachten schenkt man mir immer Platten.
Ich brauch Krawatten und neue Schuh‘.
Wo ich zu Besuch bin, spielt man Platten –
ich sitz im Schatten und hör nicht zu.
Aber andre hörn zu, und der Zauber der holden Musik macht die ganze Welt platt,
die bösen wern gut und die Kranken gesunden, und besonders bei Mozart und Bach.
Nur ich sitz da und hör nicht einmal hin:
Weil ich unmusikalisch bin!

Als Kind hab ich zwar Klavier gelernt und übte brav zu Haus;
doch über gewisse Stücke kam ich nie hinaus!
Dann hab ich auch noch Geige gelernt und übte brav und viel,
und dann ist mein Geigenlehrer g’storben und hat mir sein Geld vermacht –
unter der Bedingung, daß ich nie mehr spiel‘...
Aber etwas mußte ich schließlich tun, also versuchte ich’s als Autor,
und ein Verleger, zu dem ich kam, flüsterte mir ins Ohr:
Schreiben Sie doch ein Buch über Schubert,
schreiben Sie doch ein Buch über Schubert,
Also ging ich froh nach Hause, setzte mich nieder, und ich schrieb:
Schubert war ein stierer großer Komponiere.
Er hat nie viel Geld gehabt, also ist er heute der Verlierer.
Er schrieb gar viele Töne,
sicher auch wunderschöne –
für mich sind sie leider alle bestialisch,
denn ich bin ganz unmusikalisch!
Ob es jetzt Schubert oder Tschaikowski,
Brahms oder Liszt oder Dnepropetrowsi,
Sinfonie oder Ouvertüre,
Rock’n Roll oder die Walküre,
Zauberflöte, Verkaufte Braut –
Für mich ist das alles nur – laut.
Das Buch war sofort ein Riesenerfolg, und es sagten mir viele Herrn:
Genial; Großartig; Sie müssen Kritiker wern!

Ich sagte Ja,
und es geschah...

Ich geh in Konzerte und Opern hinein und seh mir den Unsinn dort an,
den Leuten gefällts und ich komm zu dem Schluss: an Musik ist vielleicht etwas dran.
Nur was dran ist, will mir nicht in den Sinn,
Weil ich unmusikalisch bin.
Die Orgel erklingt und ein Knabenchor singt und der Kontrapunkt tut sich verzweigen,
die Pauke zersplittert, der Kapellmeister zittert, und angeblich schluchzen die Geigen.
Am Schluß ertönt noch donnernder Applaus;
Ich bin der einzige unmusikalische Mensch im Haus...

Aber:
Heute findet jede Zeitung größere Verbreitung durch Musikkritiker,
und so hab auch ich die Ehre und mach jetzt Karriere als Musikkritiker.
Ich hab diesen Posten schlau erbeutet,
und ich hasse nicht so wie Musik.
Und daß mir Musik so nichts bedeutet,
zahl ich jetzt den Musikern zurück, Ja:
Wartet nur, ihr sollt es büßen, nieder zu den Füßen des Musikkritikers!
Sollt ich etwas Schönes finden, muß ich’s unterbinden als Musikkritiker.
Ich bin konsequent und ich erkenne kein Talent,
und da ich weiß, daß ich nichts kann, laß ich auch niemand anders ran,
und eure Kollegen geb’n mir immer ihren Seg’n,
denn jedem Künstler ist es recht, spricht man von andern Künstlern schlecht,
und der Redakteur schätzt meine schlechte Meinung sehr:
Schreit auch das Publikum: Hurra!, das nützt euch nichts, denn ich bin da.

Nieder mit Musik!!!