Alben & Lieder

Der Mann im Pferd

1961, Text: Georg Kreisler

[Anmerkung: Wer hat nicht schon das Pferd im Zirkus gesehen, das
in Wirklichkeit gar kein Pferd ist, sondern nur eine buntbemalte
Pferdehaut, in der zwei Clowns stecken! Die Gedanken des Clowns,
der verurteilt ist, den Hinterteil dieses „Pferdes” zu spielen, seien
hiermit wiedergegeben.]

Wenn Ehrgeiz unbefriedigt ist, dann ist es eine Qual.
Besonders wenn man nicht viel will.
Man fühlt sich wie ein Vorarbeiter ohne Personal
oder wie Zahnpaste ohne Chlorophyll.
Ich bin im Zirkus angestellt. Man nennt mich einen Clown.
Das Publikum lacht sehr viel über mich.
Und trotzdem ist es furchtbar und ich kann es nicht verdaun,
die Leute sehen mich nämlich nie, auch wenn sie auf mich schaun.

Vorn ist der Herbert. Hinten bin ich.
Ich bin nur der verkehrte Teil,
nie der begehrte Teil
beim Pferd.
Der Herbert ist der schöne Teil,
ich der obszöne Teil
beim Pferd.

Ich wollte mich stets künstlerisch entfalten.
Wie herrlich ich den Hamlet spielen könnt!
Doch um nen Pferdehintern geistig zu gestalten,
dazu braucht man nicht viel Talent.

Der Herbert darf mal wiehern,
mich darf man nie hörn,
weil das stört.
Ich bin der abgesägte Teil,
nie der gepflegte Teil
beim Pferd.

Als ich das erste Mal beim Zirkus war,
da dachte ich, na, das wird wunderbar,
denn ich kann reiten, balancieren
und mit Tennisbällen jonglieren.

Ich jonglierte, balancierte, ritt
und hatte immer viel Erfolg damit.
Dann ging der Zirkus auf große Tournee
von Hamburg bis Alt-Aussee.

Dieses Pferd Annabella war auch im Programm.
Ein Mann hinten und ein Mann vorn.
Und eines Abends, in Mühlendamm,
bekam der hintere Mann ein Gerstenkorn
im Auge. Er konnte seine Rolle nicht bringen.
Da bat man mich, für ihn einzuspringen.
Ich lernte die Rolle in ein paar Stunden.
Am nächsten Tag war der Mann verschwunden.
Ich dachte mir: Na, jetzt bleibst du dabei.
Und das Pferd Annabella wurde ein Star.
Wo immer wir spielten, war Jubelgeschrei,
Man sagt, daß das meine Schauspielkunst war.
Im Pferd sind wir zwei, aber ich bin allein.
Und allein krieg ich keinen Applaus.
Meine Heiratspläne gingen stets fehl,
denn wenn ich einer Frau von meiner Arbeit erzähl,
lacht sie mich höchstens aus.

Ich bin nur der verkehrte Teil,
nie der begehrte Teil
beim Pferd.
Ich bin halt nur der zweite Teil,
wenn auch der breite Teil
beim Pferd.

Vielleicht bin ich doch nicht so schwer getroffen.
Käm ich nach vorne, würde ich zwar triumphieren,
doch dann war's aus. Was könnt ich sonst vom Leben erhoffen?
Noch mehr nach vorne könnte ich dann nicht mehr avancieren.

Ich bleibe wo ich trabe
und kann ruhig sagen, ich habe
mich bewährt.
Ich bin nur der verkehrte Teil,
nie der begehrte Teil
beim Pferd.