Alben & Lieder

Der Hering

1966, Text/Musik: Georg Kreisler

Wenn ich ein' Hering hätte jede Früh um sieben
in einer weißen und sehr dicken sauren Soß
und dann zu Mittag einen großen Teller Grieben,
vielleicht zum Nachtisch eine süße Aprikos,
dann gegen drei ein Stückchen Kuchen, so mit Creme,
dazu natürlich einen duftenden Kaffee,
dann wär mir abends schon egal, was ich bekäme.
Denn wissen Sie, was in dem Fall mit mir geschäh?

Der Herr Direktor wär für mich ein Engel.
Er wär nicht fähig einer Schweinerei.
Die Frau Direktor hatte keine Mängel.
Mit dem Hering in der Früh
und dem übrigen Menü
wärn die achtzehn Stunden Arbeit schnell vorbei.

Auch rund um mich hätt niemand was zu leiden.
Die ganze Welt wär eingetaucht in Blau.
Selbst meine Frau wär sittsam und bescheiden.
Wenn ich abends dann im Bett
noch ein' zweiten Hering hätt, .
wär ich effektiv verliebt in meine Frau.

Mein Nachbar Meyer wär nicht so gehässig,
und wenn er's doch wär, träfe ihn der Schlag.
Und auch der Schneider mahnte mich nicht unablässig
wegen diesem winzigen Betrag jeden zweiten Tag.
Und unsre Kinder hätten rote Wangen,
weil's prinzipiell nur schönes Wetter gäb.
Auf den Himmel wär Verlaß, ;
selbst der Regen wär nicht naß.
Kurz und gut, ich wüßte nicht, warum ich leb.


Da fällt mir ein, zum Hering paßt noch eine Zwiebel
und zu den Grieben eine Semmel, warm und frisch.
Nur auf den Kuchen könnt es sein, es wird mir übel,
da eß ich lieber zum Kaffee ein Stückel Fisch.
Und für den Abend macht mir dann mein braves Mädel
ein' Teller Kutteln und darauf ein weiches Ei.
Und auf ein' zweiten Teller wünsch ich mir ein' Knödel.
Und weil ich schon beim Wünschen bin, wünsch ich mir zwei.

Und die Fabrik würd hängen voller Geigen.
Ich käm zur Arbeit frohgemut und prompt
und würde überall mein Können zeigen,
wie ich flink und gründlich schaff.
Erst zu Mittag würd ich schlaff,
weil ich wüßt, daß bald das Mittagessen kommt.

Und weil mir alles andere egal wär,
hätt ich die größte Freud an meiner Freud
und würde denken, daß das ganz normal wär.
Weiß wär schwarz und schwarz wär weiß,
im Dezember wär mir heiß,
und die Menschen wärn so liebenswerte Leut.

Ich würde tanzen, wenn ich es noch könnte.
Und könnt ich's nicht, dann würde ich's probiern.
Wer mich bestiehlt, der kriegt von mir Prozente.
Er soll sich bitte nicht geniern, ich würd's gar nicht spürn.

Mein Leben fließt, dem größten Fluß zum Trotze.
Es plätschert sanft und doch bin ich ein Mann.
Jeder Tag bringt neues Licht,
bringt er's nicht, so bringt er's nicht,
und man gleitet und man schaukelt
und man schüttelt sich und kratzt sich
und man lächelt seinen Bauch im Dunkeln an.
Nicht zu glauben, was ein Hering alles kann!