Alben & Lieder

Der Geschlechtsverkehr

1983, Text: Georg Kreisler

Ein Sketch für utopisches Kabarett

Ansager:
Ein wichtiges gesellschaftliches Phänomen ist der Geschlechtsverkehr. Die am meisten verbreitete Form findet zwischen Mann und Frau statt. Jeder weiß, wie eine Frau aussieht. Denn entweder ist er selber eine oder er hat mehrfach versucht, eine kennenzulernen. Hat er keine kennengelernt und kann dies beweisen, so darf er das Theater verlassen und sein Eintrittsgeld wird ihm zurückerstattet. Da niemand das Theater verläßt, können wir annehmen, daß jeder weiß, wie eine Frau aussieht, und daß wir ihm nichts Neues sagen, wenn wir ihm sagen, daß eine Frau zum Beispiel so aussieht.

(Eine nackte Frau tritt auf)

Jeder weiß, wie ein Mann aussieht. Denn entweder ist sie selber einer oder sie hat mehrfach versucht, einen kennenzulernen. Hat sie keinen kennengelernt und kann dies beweisen, so darf sie das Theater verlassen und das Eintrittsgeld wird zurückerstattet. Da niemand das Theater verläßt, können wir annehmen, daß alle wissen, wie ein Mann aussieht, und daß wir nichts Neues sagen, wenn wir sagen, daß ein Mann zum Beispiel so aussieht.

(Ein nackter Mann tritt auf)

Jeder weiß, was Geschlechtsverkehr ist. Denn entweder er hat ihn selber schon betrieben oder er hat es versucht und weiß daher, wie er betrieben werden könnte. Hat jemand hier noch nie Geschlechtsverkehr betrieben und es auch noch nie versucht und kann es beweisen, so darf auch diese Person das Theater verlassen, aber das Eintrittsgeld wird nicht zurückerstattet, denn dann hat sie zumindest eine einzige Erfahrung im Leben gemacht. Da aber niemand das Theater verläßt, können wir annehmen, daß jeder weiß, wie Geschlechtsverkehr aussieht, und daß wir nichts Neues sagen, wenn wir sagen, daß er zum Beispiel so aussehen kann.

(Die beiden Nackten betreiben Geschlechtsverkehr)

Die katholische Kirche ist offiziell der Meinung, daß Geschlechtsverkehr einzig und allein für die Fortpflanzung der Gattung betrieben werden soll. (Der G. hört auf) Dieser seltsame Standpunkt verdient Erwähnung, aber keinerlei Beachtung. (Der G. beginnt wieder) Im Grunde genommen gibt es beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Personen, so wie er hier vorgeführt wird, vier Möglichkeiten. Entweder es gefällt ihm, gefällt ihr aber nicht. (Die Nackten führen dies vor) Oder es gefällt ihr, gefällt ihm aber nicht. (Die Nackten führen es vor) Oder es gefällt keinem von beiden. (Der G. hört auf) Oder es gefällt beiden. (Der G. beginnt wieder) Auch für die Zuschauer gibt es vier Möglichkeiten: Entweder es gefällt oder es gefällt nicht. Drittens aber mag es jemandem so mißfallen, daß es ihn geradezu abstößt. Und viertens mag es jemandem so gefallen, daß es ihn aufregt, anregt, daß er am liebsten mitmachen würde. Nun, es mag welche unter Ihnen geben, denen diese Vorführung mißfällt. Denen sollten wir den Gefallen tun, damit aufzuhören. (Der G. hört auf) Es mag aber auch welche unter Ihnen geben — (der G. beginnt wieder) denen diese Vorführung geradezu zuwider ist. Auch für die sollten wir aufhören. (Der G. hört auf) Es mag aber auch einige unter Ihnen geben — (der G. beginnt wieder) — die diese Vorführung zum Mitmachen anregt oder bei denen zumindest die Gefahr des Mitmachens besteht. Auch für die sollten wir aufhören — (der G. hört auf) — denn das Gesetz verbietet die Ausübung des Geschlechtsverkehrs in der Öffentlichkeit. Aufhören müssen wir also auf jeden Fall und, sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist eigentlich das Unangenehmste am Geschlechtsverkehr.