Alben & Lieder

Das Begräbnis der Freiheit

1976, Text/Musik: Georg Kreisler

Aufnahme A

Vergangenen Montag Morgen war Begräbnis.
Man trug die Freiheit zu Grab.
Es war für mich beinahe ein alltägliches Erlebnis,
wie ich es öfter jetzt hab.
Man gab sich feierlich, um auszugleichen,
daß man sie mordete in West und Ost.
Sie lag in ihrem Sarg und sah so aus wie alle Leichen:
Jenseits von Sorge und Frost,
als könnt man sie erreichen
per Post.

Ich glaube, ihren Mördern war es peinlich.
Der eine weinte gar sehr.
Er fühlte sich verraten und verloren augenscheinlich,
weil sie nur tot war, nicht mehr.
Der Priester lächelte und trug Zylinder.
Familie gab es nicht, sie blieb allein.
An ihrem Sarge standen ganz besonders viele Kinder,
statt in der Schule zu sein.
Sogar ein kleiner Blinder  
sah herein.

Man schloß den Sarg und ging zum Grabe.
Der Weg war lang. Das Glöckchen bimmelte und bimmelte
und hörte nie mehr auf.
Der Priester sprach ein letztes frohes Wort.
Man gab den Totengräbern rasch ihr Trinkgeld.
Und niemand sagte irgendwas von Mord.
Man schwieg sich aus, als wär man auch so tot wie sie.
Und dann war endlich das Begräbnis um.
Man traf sich noch zum Abschied vor den Toren.
Der Blick ist schön dort ins Tal.
Man wußte zwar, man hatte etwas Wichtiges verloren,
doch schien es seltsam egal.
Man stieg ins Auto ein und fuhr zum Essen.
Jemand versprach etwas, doch was verspricht's?
Am nächsten Morgen hatte man die Freiheit längst vergessen,
das ist der Schluß meines Berichts.
Auch in den freien Pressen
stand nichts.

Ihr Grab liegt hinten in der Nähe Don Qixotes,
und ich besuch es manchmal heimlich - und aus trotz.