Alben & Lieder

Bis du sterbst

1980, Text: Georg Kreisler

Aber nach dem Frühling kommt der Sommer.
Aber nach dem Sommer kommt der Herbst.
Aber nach dem Herbst, da kommt der Winter.
Und so geht es weiter, bis du sterbst.

Und du siehst den Sommer in der Ferne,
manchmal wenn der Frühling kaum begann.
Hast du erst den Winter in der Wohnung,
stellt sich schon der Sommer hinten an.

Denn der lange Frühling nimmt kein Ende.
Und der lange Winter, der bleibt stehn.
Und der lange Sommer macht nicht vorwärts.
Und der lange Herbst will nicht vergehn.

Und du läßt die Türe einfach offen.
Und sie kommen rein und sind zu viert.
Zwar bist du zuerst davon betroffen,
aber mit der Zeit wirst du versiert.

Und du hast Geburtstag zweimal täglich.
Nur am Ostersonntag läßt du‘s sein.
Und du hältst Dezember für unmöglich.
Und den Monat Jänner stampfst du ein.

Und der Monat März kehrt dreimal wieder,
meistens im Oktober und April.
Und erst im November blüht der Flieder,
weil man ihn da ohnehin nicht will.

Und die ganze Welt dreht sich im Kreise.
Und es gibt Silvester Mitte Mai.
Und erst Ende Juli fall'n die Preise,
denn da ist der Winter schon vorbei.

Endlich gehts dem Frühling auf die Nerven
und er sagt ein kleines, leises Wort.
Dann macht er sich wieder auf die Wanderung.
Aber das bemerkst du nicht sofort.

Dann gehen auch der Sommer und der Winter.
Und du sagst zum Herbst: »Noch ein Glas Wein!«
Doch der trinkt Kaffee. Und schließlich geht er.
Und dann bist du plötzlich ganz allein.

Und du läufst zum Fenster und du rufst sie.
In der Ferne siehst du noch den Herbst.
Dann ist er verschwunden. Du bist einsam.
Ringsherum ist gar nichts, einfach gar nichts.
Ringsherum ist gar nichts, bis du sterbst.