Alben & Lieder

Beobachtung

1975, Text/Musik: Georg Kreisler

Der Chef gab mir vertraulich die Adresse.
Ich solle mich gleich an die Arbeit machen.
Es sei des Staates höchstes Interesse,
den Mann dort Tag und Nacht zu überwachen.
Ich folgte diesem Mann auf allen Wegen.
Ich stand vier Nächte lang vor seinem Haus.
Verlor ihn selbst beim Pimpern
nicht einmal aus den Wimpern.
Und dabei was seltsames heraus:

Er beobachtet mich.
Ganz genau wie ich ihn.
Wo ich bin ist auch er.
Geh' ich grad, steht er quer
und blickt wachsam zu mir hin.
Erst verfolge ich ihn
und dann geh' ich ein Stück voran
bis man zwischen uns keinen Unterschied merken kann.

Ein Wissenschaftler, dem ich dieses sagte
erzählte mir darauf bei ein paar Bieren:
Der Virus den ich kürzlich erst erjagte,
der benimmt sich auch nicht so wie and're Viren.
Ich hab' ihn unter meinem Mikroskope
mit Müh' und Sorgfalt endlich isoliert.
Und hab zu meinem Schrecken
statt Neues zu entdecken,
bei diesem Virus deutlich konstatiert:

Er beobachtet mich.
Ganz genau wie ich ihn.
Schau ich durch, schaut er fort.
Schau ich fort, ist er dort
und blickt wachsam zu mir hin.
Er ist sehr interessant,
und doch was fang' ich mit ihm an,
wenn man zwischen uns keinen Unterschied merken kann.

Ich glaub' wo immer Menschen sich bewegen
entdecken wir die gleichen Komponenten.
Bei Liebessachen sowie bei Kollegen,
bei Mitarbeitern wie bei Konkurrenten.
Wir halten uns für praktisch und vernünftig,
für ehrlich und vor allem objektiv.
Doch weil ja etwas schief ist,
wenn jeder objektiv ist,
bleibt zuverlässig jeder aggressiv.

Sie beobachten mich.
Ganz genau wie ich sie.
Und sie denken sich still:
er singt nicht, was ich will
und zur falschen Melodie.
Alle Schuldigen schau'n
alle Unschuldigen an
bis man zwischen beiden keinen Unterschied merken kann.