Alben & Lieder
Annemiese Hosenträger gibt sich die Blöße
1983, Text: Georg Kreisler
Eine Parodie
Bombastische Musik. Ein goldenes Schloß, überall Riesenvasen mit Blumen. Eine goldene Flügeltüre öffnet sich und man sieht eine giftgrüne Allee, darin eine schreitende singende Frau in wallendem Gewand. Gleichzeitig erscheint die Schrift:
Annemiese Hosenträger gibt sich die Blöße
Annemiese singt
Wir Sänger sind wie Blumen singt
im Wonnemonat Mai,
die Herzen voller Güte,
den Sinn voll Schwärmerei.
Wir Sänger sind wie Rosen,
so rot in grüner Au.
Und wenn wir nicht mehr singen können,
machen wir T-Vau,
ja, wenn wir nicht mehr singen können,
machen wir T-Vau.
Annemiese tritt ins Schloß, die goldenen Flügeltüren schließen sich, die Musik endet. Riesenapplaus vom Tonband, als wären mindestens tausend Zuhörer anwesend. Zwischenschnitt auf eine applaudierende Tischgesellschaft von etwa zehn Menschen, die gelangweilt und langsam applaudieren. Schnitt zurück auf Annemiese, die sich verbeugt. Dann macht sie eine knappe abschneidende Handbewegung und der Applaus vom Tonband wird scharf abgeschnitten. Dieses Applausabschneiden wird in dieser Sendung mehrere Male wiederholt und muß jedes Mal genau gleich sein.
Annemiese spricht
Meine Damen und Herren, für unsere heutige Sendung haben wir uns ein ganz besonders ausgefallenes Thema ausgewählt: Die Liebe. (Sie lacht neckisch) Ja, Sie haben richtig gehört. (Sie singt aus dem »Zigeunerbaron«) Die Liebe, die Liebe –
Eine männliche Stimme antwortet ergänzend und ziemlich falsch: Ist eine Himmelsmacht.
(Kurt Bemme kommt ins Bild. Er trägt Smoking.)
Annemiese
(begeistert) Kurt Bemme!
Riesenapplaus. Bemme verbeugt sich. Der Applaus wird von Annemiese wie oben kurz abgeschnitten. Sie gönnt Bemme nicht sehr viel Applaus.
Bemme
(sehr opernhaft, mit vielen falschen Gesten und Betonungen) Annemiese! Mein Gott, wie ich Sie beneide!
Annemiese
Beneiden? Mich? Um meine Stimme?
Bemme
Aber nein!
Annemiese
Um meinen Liebreiz?
Bemme
Aber nein?
Annemiese
Um meine Popularität?
Bemme
Nein! Um Ihre Gage. 50 000 Mark für so einen -
Annemiese
(Finger auf dem Mund) Schh! Sie Schäker! Aber ich beneide Sie auch, lieber Kurt Bemme.
Bemme
Mich? Um meine Stimme?
Annemiese
Ach ja, wie gerne hätte ich eine schöne Baß-Stimme!
Bemme
Ich auch.
Annemiese
Singen Sie mir doch ein schönes Baß-Lied! Auch wenn's Playback ist.
Bemme
Wie Sie wünschen, holde Dame.
(Das folgende Lied ist Playback aufgenommen. Bemme ist bereits beim Einsatz völlig asynchron.)
Bemme singt
Ja, das Schreiben und das Lesen
ist nie mein Fach gewesen.
Denn schon von Kindesbeinen
befaßt ich mich –
(Das Wort »Mich« wird sehr lange gehalten. Bemme will immer wieder fortsetzen, aber der Playbackton bleibt. Schließlich fragt er verzweifelt: »Wie lang denn noch?«)
mit Schweinen.
Mein idealer Lebenszweck - quäck, quäck -
ist Borstenvieh und Schweinespeck.
(Über das »Quäck, quäck« laute Lacher vom Tonband. Schnitt auf das Publikum, das gelangweilt dasitzt.)
Mein idealer Lebenszweck - quäck, quäck –
ist Borstenvieh und Schweinespeck,
ist Schweinevieh und Borstenspeck.
Laute Lacher, Riesenapplaus, Bravorufe. Annemiese kommt ins Bild. Bemme und Annemiese verbeugen sich zueinander, reichen sich die Hände, verhaspeln sich, verbeugen sich immer wieder zum Publikum. Schließlich schneidet Annemiese wie oben den Applaus - zack! - ab.
Annemiese singt
Doch nun zurück zu mir. (Die Kamera gehorcht spricht und verliert Bemme) Ich singe Ihnen jetzt ein Lied - natürlich über die Liebe - ein romantisches Lied, das der greise Altmeister der Operette, Robert Stolz, nicht mehr schreiben konnte. (Musik setzt ein)
Annemiese nimmt eine vorbereitete Marguerite mit fünf Blättern, die sie einzeln, mit dem Text, auszupft. Bei »Oder gar nicht« ärgert sie sich, weil sie noch »Er liebt mich« zu singen hat.
Annemiese singt
Er liebt mich von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig - oder gar nicht - er liebt mich!
(Sie probiert eine zweite Blume, bei der aber das gleiche passiert)
Er liebt mich von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig - oder gar nicht - er liebt mich!
Ja, das sind die reizenden Frauen,
immer zu durchschauen,
kann man ihnen trauen.
Und zieht bald der Frühling hier ein,
Wien, Wien, nur du allein.
(Riesenapplaus, den sie, wie immer, abschneidet, nachdem sie sich genügend verbeugt hat.)
Annemiese spricht
Danke vielmals, meine Damen und Herren! Doch da fällt mir ein: Warum über Blumen singen, wo wir doch die herrliche Natur in natura draußen haben? Öffnet die Türe! Gehen wir ins Freie! Und da ist er ja, unter den grünen Bäumen, Deutschlands Show-Star Nummer Eins: Heini!
(Riesenapplaus. Schnitt. Heini steht an einen Baum gelehnt, Rollkragenpulli, Sonnenbrille. Während des Liedes verzieht er keine Miene und rührt sich nicht vom Fleck.)
Heini singt
Wenn ich ein Vöglein war
und zwei, drei Flügeln hätt,
flog ich zu dir.
Da's aber nicht kann sein,
da's aber nicht kann sein,
bleib ich leider hier.
(Riesenapplaus. Die Musik geht weiter. Der Applaus wird abgeschnitten. Annemiese steht im Grünen. Sie hat sich blitzschnell umgezogen. Lautes Vogelgezwitscher auf dem Tonband.)
Annemiese singt
Du, du liegst mir im Herzen,
du, du liegst mir im Sinn,
du, du machst mir viel Schmerzen,
weißt nicht, wie gut ich dir bin.
(Das Vogelgezwitscher ist immer lauter geworden, bis man Annemiese kaum noch hört. Sie sagt ärgerlich: »Mensch, nimm doch das dämliche Gezwitscher weg!« Das Gezwitscher wird — zack! — abgeschaltet. Annemiese lächelt süßlich in die Kamera und beendet das Lied:)
Weißt nicht, wie gut ich dir bin.
(Riesenapplaus. Die Musik geht weiter. Schnitt zu Heini, der noch immer am selben Fleck steht.)
Heini singt
Ich weiß nicht, was soll ich bedeuten.
Ich steh wie ein Klotz hier im Feld
und singe seit uralten Zeiten
die dümmsten Lieder der Welt.
Daß Leute die Platten verschlingen,
paßt ganz genau in den Plan.
Denn das hat mit meinem Singen
die Plattenfirma getan.
(Die Musik geht weiter. Riesenapplaus. Schnitt auf Annemiese.)
Annemiese singt
Was haben wir Gänse für Kleidung an? Gigagack!
Man führt uns aus dem Stall hinaus
in einen fetten Martinsschmaus. Gigagick
und bricht uns das Genick.
(Riesenapplaus. Schnitt. Im Schloß steht Bemme und verbeugt sich. Annemiese kommt, wieder umgezogen, herein und weist auf Bemme. Er weist auf sie, bis Annemiese, wie vorher, den Applaus abschneidet. Bemme schleicht sich aus dem Bild.)
Annemiese spricht
Und nun, meine Damen und Herren, stelle ich Ihnen eine große Künstlerin aus dem Ausland vor und zwar eine hervorragende Pianistin von der Elfenbeinküste. In ihrer Heimat erhielt sie den ersten Preis bei einem Klavierwettbewerb mit zwei Bewerberinnen und gewann dadurch ein Stipendium in Deutschland. Meine Damen und Herren: Zwutschi Branutzki.
(Zwutschi Branutzki kommt ins Bild: eine Kaffernegerin mit Untertassen in der Lippe oder mit langgedrehtem Hals, jedenfalls eine Art Wilde. Riesenapplaus, den Annemiese abschneidet.)
Annemiese
Zwutschi, was werden Sie für uns spielen?
Zwutschi
(kaum der deutschen Sprache mächtig) Chopin.
Annemiese
Chopin? Und warum?
Zwutschi
Weil ich bin romantisch.
Annemiese
Und was von Chopin?
Zwutschi
(mühsam) Minutenwalzer.
Annemiese
Den Minutenwalzer! (Sie fragt in die Kulisse) Haben wir so lange Zeit? Ja? Also dann, bitte.
(Zwutschi setzt sich ans Klavier und beginnt sofort asynchron. Es ertönt der Minutenwalzer. Schnitt auf Annemiese, wieder umgezogen, träumend an einem brennenden Kamin. Schnitt auf Zwutschi, die sich offenbar mit der Musik nicht auskennt. Schnitt auf Bemme, der nicht weiß, daß er im Bild ist, und gähnt. Schnitt auf Annemiese, die eine Rose zwischen die Zähne genommen hat. Schnitt auf Heini, der noch immer am Baum lehnt. Schnitt auf Zwutschi, die den Walzer asynchron beendet. Riesenapplaus. Annemiese kommt ins Bild und schneidet den Applaus ab. Wir verlieren Zwutschi.)
Annemiese spricht
Und nun, zum Abschluß, für diejenigen unter Ihnen, die das Moderne nicht so sehr mögen, zurück in die Goldenen Zwanziger Jahre, als gesungen wurde:
Sie singt:
Ich hab dich –
(Tosender Applaus setzt ein, so daß der Rest des Liedes nicht mehr gehört wird. Wenn der Applaus zu Ende ist, hört man sie nur mehr singen:)
- du bist.
(Anm.: Sie hat gesungen: »Ich hab dich einmal geküßt, ich hab dich zweimal geküßt, doch erst beim dritten Mal hab ich gemerkt, wie süß du bist.«)
Bemme tritt auf und singt
Die ga -
(Tosender Applaus wie vorher, man hört Bemme erst wieder singen:)
- so blau.
(Anm.: Er hat gesungen: »Die ganze Welt ist himmelblau, wenn ich in deine Augen schau, ja, die ganze Welt machst du, süße Frau, so blau, so blau, so blau.«)
Heini tritt auf und singt
Das muß –
(Applaus wie vorher, man hört Heini erst wieder singen:)
- Wein.
(Anm.: Er hat gesungen: »Das muß ein Stück vom Himmel sein, Wien und der Wein, Wien und der Wein, das muß ein Stück vom Himmel sein, Wien und der Wein, Wien und der Wein.«)
Schlußmusik wie am Anfang mit viel Applaus und Verbeugungen, darüber die Titel: Annemiese Hosenträger gab sich die Blöße. Mit Annemiese Hosenträger, Kurt Bemme, Heini. Regie: Truck Tzirf. Eine Koproduktion des ZZZ, GRRR und RSCH.